Das Vorhandensein einer (ersten) Betriebsstätte ist für jeden Selbstständigen in verschiedenen Bereichen von entscheidender Bedeutung, denn:
-
Die Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und dieser Betriebsstätte können nur maximal in Höhe der Entfernungspauschale angesetzt werden.
-
Für die Tätigkeit in der Betriebsstätte dürfen im Gegensatz zu Auswärtstätigkeiten keine Verpflegungsmehraufwendungen geltend gemacht werden.
-
Übernachtungskosten am Ort der Betriebsstätte können nur bei einer doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Es ergibt sich für die Betriebsstätte also die gleiche Bedeutung wie für Angestellte bei deren erster Tätigkeitsstätte. Das FG Rheinland-Pfalz hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Betriebsstätte des Selbstständigen sich nach den gleichen Kriterien wie die erste Tätigkeitsstätte eines Arbeitnehmers bestimmt (Urteil vom 19.6.2024, 1 K 1219/21).
In dem zu entscheidenden Fall hatte ein selbstständiger IT-Berater nur für eine Firma gearbeitet. Der Berater war am Firmensitz seines Kunden regelmäßig an vier Arbeitstagen je Arbeitswoche tätig. Grundlage war ein mit einer GmbH zunächst auf vier Monate geschlossener Beratervertrag, der in der Folgezeit wiederholt um zwei, vier, acht Monate und letztlich um ein ganzes Jahr verlängert wurde. Der Selbstständige mietete sich unmittelbar nach Abschluss des ersten Beratervertrags eine möblierte Wohnung in räumlicher Nähe zum Firmensitz seines Kunden an. Neben den Mietzahlungen machte er für die gesamte Zeit Verpflegungsmehraufwendungen und Familienheimfahrten unbegrenzt als Betriebsausgaben geltend. Im Rahmen einer Betriebsprüfung kürzte das Finanzamt die Betriebsausgaben. Es erkannte die Verpflegungsmehraufwendungen nur für die ersten drei Monate an und ließ für jeweils eine Familienheimfahrt pro Woche lediglich Aufwendungen in Höhe der Entfernungspauschale zu. Die Betriebsausgabenkürzung wurde damit begründet, dass die betriebliche Einrichtung des Kunden eine Betriebsstätte des Selbstständigen darstelle, da er dort seine betriebliche Tätigkeit dauerhaft ausgeübt habe. Und die Tatsache, dass der Unternehmer diese Betriebsstätte je Woche an zwei vollen Arbeitstagen aufgesucht habe, mache sie auch zu seiner ersten Betriebsstätte. Dass er selbst über diese Räumlichkeiten keine Verfügungsmacht habe, sei unbeachtlich.
Das FG stimmte der Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs zu, allerdings mit einer anderen Begründung als das Finanzamt. Bei Selbstständigen könne seit der Reform des Reisekostenrechts im Jahr 2014 die Betriebsstätte nicht mit der ersten Tätigkeitsstätte eines Arbeitnehmers gleichgesetzt werden. Wäre dies der Fall, könne der Firmensitz des Kunden des IT-Beraters nicht als dessen erste Betriebsstätte angesehen werden, da diesem laut Beratervertrag nicht vorgeschrieben gewesen sei, wo er seine Beratungsleistung gegenüber seinem Kunden zu erbringen habe. Im Klartext: Der Betrieb des Kunden wäre keine erste Betriebsstätte und damit der strittige Kostenabzug uneingeschränkt möglich. Das Gericht wendete vielmehr die alte Rechtslage an, d.h. wie vor 2014. Danach sei der Betrieb des Kunden die einzige Betriebsstätte des Beraters und infolgedessen seien die Fahrten von seinem Wohnort dahin nur in Höhe der Entfernungspauschale zu berücksichtigen. Auch die Begrenzung der Verpflegungsmehraufwendungen auf die ersten drei Monate ab Begründung der doppelten Haushaltsführung sei von den Finanzbeamten zu Recht vorgenommen worden. Das letzte Wort hat allerdings der BFH. Der unterlegene Selbstständige will nämlich von den obersten Finanzrichtern geklärt haben, ob nach der Reform des Reisekostenrechts im Jahr 2014 die Voraussetzungen der ersten Tätigkeitsstätte auch auf die Gewinnermittlung von Selbstständigen übertragbar sind, und hat gegen das FG-Urteil Revision eingelegt (Az. VIII R 14/24).
Wird die Tätigkeit bei einem Kunden ausgeübt und ist dies nicht für die gesamte Dauer der betrieblichen Tätigkeit geplant, können Betroffene unter Beachtung des Urteils dort nicht ihre Betriebsstätte annehmen und folglich immer die vollen Fahrtkosten und Verpflegungsmehraufwendungen und ggf. Übernachtungskosten in der Gewinnermittlung geltend machen. Kürzt das Finanzamt die Betriebsausgaben, sollte gegen den Steuerbescheid unbedingt Einspruch eingelegt werden. Dieser ruht dann, bis der BFH die Rechtsfrage abschließend geklärt hat.