Mit Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 12.7.2023 hat dieses unter dem Aktenzeichen 3 K 14/23 zum Umfang der erbschaftsteuerlichen Befreiung eines Familienheims Stellung genommen. Danach gilt: Nur die Grundfläche des mit dem Familienheim bebauten Flurstücks, oder bei größeren Flurstücken: eine angemessene Zubehörfläche, unterfällt dem verfassungsrechtlichen Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums und ist erbschaftsteuerlich begünstigt.
Ausweislich der Vorschrift in § 13 Abs. 1 Nummer 4 c des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) ist der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen bebauten Grundstücks im Sinne des § 181 Abs. 1 Nummer 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nummer 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nummer 2, steuerfrei. Voraussetzung:
- Der Erblasser hat darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt oder war aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert,
- der Erwerber nutzt die Wohnung unverzüglich selbst zu eigenen Wohnzwecken und
- die Wohnfläche der Wohnung übersteigt nicht 200 Quadratmeter.
Eine nähere Bestimmung, so der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 23.2.2021 mit Aktenzeichen II R 29/19, in welchem Umfang der zu der Wohnung gehörende Grund und Boden an der Begünstigung teilhat, enthält die Vorschrift nicht. In Betracht kommt einerseits das Grundstück im zivilrechtlichen Sinne, dies bedeutet ein vermessener, im Liegenschaftskataster bezeichneter Teil der Erdoberfläche, oder andererseits die wirtschaftliche Einheit im Sinne des § 2 Absatz 1 BewG.
In dem entschiedenen Fall hatte das Finanzamt für die nebeneinanderliegenden Grundstücke mit dem Wohnhaus einerseits und dem Gartengrundstück andererseits in getrennten Feststellungsbescheiden die Grundbesitzwerte festgestellt. Für diese Konstellation der fehlenden bewertungsrechtlichen Verbindung sollen, so der Bundesfinanzhof, die Feststellungsbescheide des Finanzamtes nicht nur hinsichtlich der Werte, sondern auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit als Grundlagenbescheide für den Erbschaftsteuerbescheid bindend sein. Zugleich hatte der Bundesfinanzhof ausdrücklich offengelassen, ob im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung für das Familienheim das Grundstück im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches oder im Sinne des Bewertungsgesetzes zu verstehen sei.
Dabei hat sich der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung von folgenden Überlegungen leiten lassen:
Für die Bestimmung des Grundstücksbegriffs im Sinne der erbschaftsteuerlichen Befreiung nach zivilrechtlichen Grundsätzen spricht die bürgerlich-rechtliche Prägung des Erbschaftsteuergesetzes. Als Verkehrssteuer knüpft die Erbschaftsteuer grundsätzlich an bürgerlich-rechtliche Vorgänge an. Andererseits verweist die Befreiungsvorschrift auf bebaute Grundstücke im Sinne des Bewertungsgesetzes und gerade nicht im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Nach § 12 Abs. 3 ErbStG in Verbindung mit dem Bewertungsgesetz sind für Zwecke der Erbschaftsteuer für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens die Grundbesitzwerte gesondert festzustellen. Die Feststellung treffen die zuständigen Belegenheitsfinanzämter. Diese sind zwar nicht zur Entscheidung darüber befugt, ob eine Steuerbefreiung für das Familienheim zu gewähren ist. Ihnen obliegt neben der Wertfeststellung aber auch die verbindliche Feststellung über die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Steuerbefreiung für das Familienheim im damaligen Streitfall nur für ein Grundstück, auf dem sich das Familienheim befand, zu gewähren, da dieses als eigene wirtschaftliche Einheit bewertet worden ist. Insoweit ist nach zivilrechtlichen Maßstäben abzugrenzen. Sei bewertungsrechtlich abzugrenzen, folgt dies aus den beiden getrennten Feststellungsbescheiden des Belegenheitsfinanzamtes für die beiden Grundstücke, die im vorliegenden Verfahren auch hinsichtlich der Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bindend sind. Für die Fallgestaltung sind die Feststellungsbescheide nicht nur hinsichtlich der Werte, sondern auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit als Grundlagenbescheide für die Erbschaftsteuerbescheide bindend. Insoweit bedurfte es keiner Entscheidung, ob bei der Steuerbefreiung des Familienheims das Grundstück im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches oder des Bewertungsgesetzes zu verstehen ist.
Der Bundesfinanzhof hatte bisher für eine Gemengelage mit mehreren benachbarten Flurstücken nicht zu entscheiden, welche Flächen dem Grundstücksbegriff in der erbschaftsteuerlichen Befreiungsvorschrift zuzuordnen sind. Das könnten (a) die einzelnen Flurstücke, wie sie von der Katasterbehörde gebildet worden sind, (b) das Grundstück, wie es im Grundbuch eingetragen ist, auch wenn es auf Antrag des Eigentümers aus zahlreichen einzelnen benachbarten Flurstücken besteht, (c) die wirtschaftliche Einheit im Sinne des Bewertungsgesetzes, die nach den Anschauung des Verkehrs und der örtlichen Gewohnheit, der tatsächlichen Übung, der Zweckbestimmung oder der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit gebildet wird, oder schließlich (d) das speziell erbrechtlich zu begünstigende Grundstücke sein.
Die Varianten (a) und (b) bergen das Risiko in sich, dass der Grundstückseigentümer den Umfang des nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG begünstigten Immobilienvermögens durch Gestaltung über den gebotenen Schutz des Familienwohnheims hinaus zu erweitern sucht, denn sowohl die Größe und der Umfang der Flurstücke als auch der Grundstücke unterliegen ausschließlich der Gestaltungsfreiheit der Eigentümer. So können benachbarte Flurstücke im Sinne des Katasterrechts »verschmolzen« werden. So hätten hier alle Grundstücke vom Eigentümer durch einfache Erklärung gegenüber dem Katasteramt zu einem Flurstück mit einer neuen Flurstücksbezeichnung verschmolzen werden können. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch lässt es relativ leicht zu, Flurstücke durch Erklärung in einem Grundbuchblatt »zu vereinigen«. Solche Gestaltungen entsprächen nicht dem Zweck der streitigen Steuerbegünstigung. Aber auch die §§ 2, 181 BewG bieten mitunter keine angemessene Lösung. Nach den Anschauungen des Verkehrs und der örtlichen Gewohnheit bildeten die im Urteilsfall vorliegenden Grundstücke tatsächlich bewertungsrechtlich eine wirtschaftliche Einheit, ohne dass damit das zu begünstigende Familienheim im Sinne des § 13 ErbStG zutreffend erfasst wäre, denn es würde wohl das einheitlich genutzte Gartengrundstück bewertungsrechtlich dazugehören, obwohl es sich dabei um ein baurechtlich selbständig bebaubares Grundstück handelt.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4 a) bis c) ErbStG bei einer zu weiten Auslegung im Hinblick auf die Doppelbegünstigung der nahen Familienmitglieder durch hohe Freibeträge gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG und die Freibeträge nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 a) bis c) ErbStG, die nicht miteinander verrechnet werden, verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnen, was es rechtfertigt, die Rechtsnormen eng auszulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vorschrift nach der Gesetzesbegründung ausschließlich dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums dienen soll. Ein selbständig parzelliertes unbebautes Grundstück dient indes diesem Zweck nicht, sondern ist selbständig verkehrsfähig und könnte von dem Erben umgehend veräußert werden. Bei der gebotenen verfassungskonformen restriktiven Auslegung der Befreiungsnorm des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist deshalb nicht auf die bewertungsrechtliche wirtschaftliche Einheit, sondern die kleinere kastastermäßige Grundstücksfläche, wenn eine solche existiert, abzustellen. Ansonsten wäre eine Teilfläche zu bestimmen gewesen.
Wenn aber damit die Varianten (a), (b) und (c) keine den verfassungsrechtlichen Grundlagen entsprechende Lösung zur Verfügung stellen können, muss die Begünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG von dem für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt selbständig bestimmt werden. Zugleich muss es dem zuständigen Finanzamt und nachgehend dem Gericht aus Gründen der Belastungsgleichheit möglich sein, selbst bei katasterrechtlich verschmolzenen Flurstücken nur einen Teil der Grundstücksfläche dem Familiengebrauchsvermögen zuzuordnen. Nur so lässt sich vermeiden, dass eine angrenzende, grundsätzlich selbständig bebaubare Fläche in die Begünstigung einbezogen werden muss.
Deshalb erscheint es sachgerecht, wenn das Belegenheitsfinanzamt die katastermäßig selbständigen Flächen zwar zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenfasst bzw. zusammenfassen muss, zugleich aber unter den »Nachrichtlichen Angaben« deutlich macht, dass eine Differenzierung im Hinblick auf die Zuordnung als Familienheim in Betracht kommt. Damit hat das Belegenheitsfinanzamt zugleich im Ergebnis zutreffend dokumentiert, dass die Flurstücke im Übrigen hinsichtlich der Steuerbefreiung abweichend vom Begriff der wirtschaftlichen Einheit im bewertungsrechtlichen Sinne zu berücksichtigen seien.
Abschließend wird sich daher der Bundesfinanzhof in der Revision unter dem Aktenzeichen II R 27/23 mit der Angelegenheit beschäftigen müssen. Die konkret hier anhängige Rechtsfrage: Welche Flächen sind in dem Zusammenhang mit der Steuerbegünstigung für das Familienheim als begünstigtes Vermögen zu berücksichtigen, insbesondere wenn es sich um eine Gemengelage von benachbarten Flurstücken handelt?
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden über diese Thematik erneut berichten, da entsprechende Sachverhalte nicht so selten sind, wie man meinen sollte.