4. Für alle Steuerpflichtigen: Zum Zugang von Steuerbescheiden

Die Regelungen zur Bekanntgabe von Steuerbescheiden sind grundsätzlich sehr genau, insbesondere zur Frage, wann ein Steuerbescheid als zugegangen gilt. Dabei spielt die gesetzliche Zugangsfiktion gemäß § 122 Absatz 2 Nummer 1 der Abgabenordnung (AO) eine zentrale Rolle. Diese Zugangsfiktion regelt, dass ein Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe als bekannt gegeben gilt, sofern nicht der tatsächliche Zugang oder ein späterer Zugang nachgewiesen wird.

Das Finanzgericht Münster hatte am 19.4.2024 unter dem Aktenzeichen 4 K 870/21 E darüber zu entscheiden, ob ein Einkommensteuerbescheid aus dem Jahr 2016 wegen fehlender Bekanntgabe unwirksam ist.

Im zugrunde liegenden Fall war die Klägerin eine Stiftung, die als Gesamtrechtsnachfolgerin einer im Jahr 2020 verstorbenen Steuerpflichtigen auftrat. Die Steuerpflichtige hatte im Jahr 2016 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt und für ihre Steuerangelegenheiten eine Steuerberatungsgesellschaft beauftragt. Obwohl die Vollmacht zur Entgegennahme von Steuerbescheiden vorlag, wurde der Einkommensteuerbescheid für 2016 direkt an die Steuerpflichtige gesandt. Nach dem Tod der Steuerpflichtigen wurde der Bescheid im Nachlass nicht aufgefunden. Die Klägerin machte geltend, dass der Bescheid der Steuerpflichtigen nie zugegangen sei und zudem aufgrund der bestehenden Vollmacht hätte an die Steuerberatungsgesellschaft übermittelt werden müssen.

Der Beklagte, das zuständige Finanzamt, verwies darauf, dass der Bescheid ordnungsgemäß erstellt und zur Post gegeben worden sei. Nach § 122 Absatz 2 Nummer 1 AO gelte der Bescheid damit als am dritten Tag nach der Aufgabe bekannt gegeben. Die Klägerin bestritt jedoch den Zugang und argumentierte, dass die gesetzliche Fiktion durch begründete Zweifel am Zugang erschüttert sei. Sie führte unter anderem an, dass im Nachlass der Steuerpflichtigen die Steuerunterlagen chronologisch geordnet vorgefunden worden seien, jedoch der streitgegenständliche Bescheid fehlte. Darüber hinaus sei die Steuerpflichtige durch eine Prognose des Steuerberaters über eine deutlich höhere Steuererstattung als die tatsächlich festgesetzte Erstattung von 178,62 Euro informiert worden, was bei Zugang des Bescheids voraussichtlich zu einem Einspruch geführt hätte.

Das Finanzgericht Münster stellte fest, dass der Einkommensteuerbescheid für 2016 wegen fehlender Bekanntgabe unwirksam ist. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die Zugangsfiktion des § 122 Absatz 2 Nummer 1 AO durch die vorgebrachten Zweifel der Klägerin erschüttert worden ist. Entscheidend war, dass die vorgefundene Ordnung der Steuerunterlagen und das Fehlen des Bescheids den Schluss nahelegen, dass dieser nicht zugegangen ist. Auch die Tatsache, dass der Bescheid inhaltlich erheblich von der Prognose des Steuerberaters abwich, wurde als weiteres Indiz dafür gewertet, dass der Bescheid nicht bekannt gegeben wurde. Die Richter betonten, dass es Aufgabe der Finanzbehörde ist, den tatsächlichen Zugang des Bescheids nachzuweisen, und dass die gesetzliche Fiktion nicht greifen kann, wenn berechtigte Zweifel am Zugang bestehen. Im Fazit muss daher festgehalten werden, dass man sich jeden Einzelfall sehr genau anschauen muss und die Indizien identifizieren, die für den Nichtzugang sprechen.

Ab 2025 gilt nicht mehr eine Dreitagesfiktion, sondern eine Viertagesfiktion.