Die verspätete Abgabe von Steuererklärungen kann finanzielle Konsequenzen haben, insbesondere in Form eines Verspätungszuschlags. Die Festsetzung dieses Zuschlags unterliegt jedoch bestimmten rechtlichen Vorgaben, die eine ermessensgerechte Entscheidung der Finanzbehörde erfordern. Zu klären war in diesem Zusammenhang, was alles in das Ermessen einfließen muss.
Dabei sind nämlich nicht nur die Dauer der Verspätung und das Verschulden des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen der Steuerfestsetzung. Gerade dies übersieht jedoch die Finanzverwaltung schon mal.
Im vorliegenden Fall hatte das Finanzgericht Münster am 14.6.2024 unter dem Aktenzeichen 4 K 2351/23 über die Rechtmäßigkeit eines Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2020 zu entscheiden. Der Streitfall betraf einen Steuerpflichtigen, der seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2020 verspätet eingereicht hatte. Der Steuerpflichtige war im Jahr 2020 nichtselbständig tätig und hatte aufgrund zweier Arbeitsverhältnisse Lohnsteuer nach den Steuerklassen I und VI entrichtet. Die Steuererklärung wurde erst am 29.3.2023 abgegeben, obwohl die Abgabefrist am 31.8.2022 endete. Das Finanzamt setzte daraufhin einen Verspätungszuschlag in Höhe von 175 Euro fest. Dabei berief sich die Behörde darauf, dass die verspätete Abgabe nicht entschuldbar sei. Der Steuerpflichtige argumentierte, dass seine steuerliche Beraterin aufgrund von Arbeitsüberlastung die Erklärung nicht fristgerecht einreichen konnte. Zudem hätte sich aus der Steuerveranlagung eine Steuererstattung ergeben, weshalb ein Verspätungszuschlag unverhältnismäßig sei.
Das Finanzgericht Münster gab der Klage des Steuerpflichtigen statt und hob den Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlags ersatzlos auf. Die erstinstanzlichen Richter stellten fest, dass das Finanzamt sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hatte. Gemäß § 152 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) kann ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden, wenn eine Steuererklärung verspätet abgegeben wird. Dabei ist jedoch von der Festsetzung abzusehen, wenn die Verspätung glaubhaft entschuldbar ist. Das Finanzgericht stellte insoweit insgesamt klar, dass die Behörde in Erstattungsfällen besonders prüfen muss, ob ein Verspätungszuschlag sachgerecht ist. Der Gesetzgeber hat in § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO eine Differenzierung zwischen Nachzahlungs- und Erstattungsfällen vorgenommen, weshalb in letzteren eine besonders sorgfältige Ermessensprüfung erforderlich ist.
Das Finanzgericht bemängelte, dass das Finanzamt bei seiner Entscheidung allein auf die Verspätung und das Verschulden des Steuerpflichtigen abgestellt hatte, ohne die wirtschaftlichen Auswirkungen der Steuerveranlagung zu berücksichtigen. Es hätte geprüft werden müssen, ob durch die verspätete Abgabe eine Verzögerung im Veranlagungsverfahren entstanden ist und ob sich aus der Veranlagung eine Steuererstattung oder eine Nachzahlung ergeben hat. Zudem hätte das Finanzamt berücksichtigen müssen, dass sich die Steuerfestsetzung zu Gunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt hat. Damit lag ein Ermessensfehler vor, da die Entscheidung nicht auf einer umfassenden Abwägung der relevanten Gesichtspunkte basierte.
Das Finanzgericht Münster folgte der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach die Finanzbehörden nicht nur ein Kriterium heranziehen dürfen, sondern alle maßgeblichen Aspekte in ihre Entscheidung einfließen lassen müssen. Die Behörde hätte die Dauer und Häufigkeit der Fristüberschreitungen, den wirtschaftlichen Vorteil durch eine mögliche Steuererstattung und die Bedeutung der Verzögerung für das Veranlagungsverfahren in ihre Erwägungen einbeziehen müssen. Da dies nicht erfolgt ist, war die Festsetzung des Verspätungszuschlags ermessensfehlerhaft und somit rechtswidrig.
Die Entscheidung unterstreicht erfreulicherweise, dass die Finanzbehörden bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags auch nach der Neuregelung des § 152 AO eine umfassende Ermessensprüfung vornehmen müssen. Insbesondere in Erstattungsfällen ist eine differenzierte Betrachtung absolut notwendig, um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Betroffene sollten gerade in Erstattungsfällen das Finanzamt auf diese Entscheidung hinweisen und gegen den Verspätungszuschlag vorgehen.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da noch nicht abschließend geklärt ist, welche Ermessenskriterien bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach neuer Rechtslage zu berücksichtigen sind. Bisher ist jedoch nicht ersichtlich, dass das Finanzamt die Revision auch tatsächlich eingelegt hat.