1. Für alle Steuerpflichtigen: Bemessung der Schenkungsteuer bei niedrig verzinsten Darlehen

Die steuerliche Behandlung von Darlehen unter nahestehenden Personen wirft in der Praxis häufig Fragen auf – insbesondere dann, wenn der Darlehenszins deutlich unter dem marktüblichen Niveau liegt. Denn in einem solchen Fall kann ein Nutzungsvorteil vorliegen, der aus schenkungsteuerlicher Sicht als freigebige Zuwendung zu bewerten ist. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob und inwieweit die Differenz zwischen dem vereinbarten und dem marktüblichen Zinssatz einen schenkungsteuerpflichtigen Erwerb begründet.

Im nun entschiedenen Fall hatte ein Kläger von seiner Schwester mit Vertrag vom 3.11.2016 ein Darlehen in Höhe von fast 1,9 Millionen Euro erhalten, das rückwirkend zum 1.1.2016 mit lediglich 1% verzinst wurde. Die Laufzeit war unbestimmt, die Kündigung erstmals zum 31.12.2019 möglich. Das Finanzamt setzte daraufhin mit Bescheid vom 29.11.2017 eine Schenkungsteuer von 229.500 Euro fest. Es nahm eine gemischte Schenkung an, weil der vereinbarte Zinssatz unter dem in § 15 Absatz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) vorgesehenen Zinssatz von 5,5% lag. Es bewertete den Nutzungsvorteil gemäß § 13 Absatz 2 Halbsatz 2 BewG mit dem 9,3-fachen Jahreswert und ermittelte daraus einen steuerpflichtigen Erwerb von rund 785.000 Euro.

Der Kläger widersprach der Besteuerung. Er argumentierte, es liege keine freigebige Zuwendung vor, weil seiner Schwester und dem Ergänzungspfleger die teilweise Unentgeltlichkeit des Darlehens nicht bewusst gewesen sei. Zudem habe er Vergleichsangebote vorgelegt, die einen marktüblichen Zinssatz von unter 5,5% belegten. Auch sei infolge der Änderung in § 6 Absatz 1 Nummer 3 Einkommensteuergesetz (EStG) durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz eine Abzinsung abgeschafft worden, was Auswirkungen auf die schenkungsteuerliche Behandlung habe. Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern wies die Klage jedoch mit Urteil vom 27.4.2022 unter dem Aktenzeichen 3 K 273/20 ab.

Der Bundesfinanzhof hob allerdings mit Urteil vom 31.7.2024 unter dem Aktenzeichen II R 20/22 diese Entscheidung auf und stellte klar, dass grundsätzlich eine freigebige Zuwendung im Sinne von § 7 Absatz 1 Nummer 1 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) vorliegt, wenn ein Darlehen zu einem Zinssatz unterhalb des marktüblichen Niveaus gewährt wird. Die obersten Finanzrichter betonten, dass die objektive Voraussetzung der Schenkung – eine unentgeltliche Bereicherung – erfüllt ist, da der Kläger aufgrund des niedrigen Zinssatzes von 1% gegenüber einem marktüblichen Satz von 2,81% begünstigt wurde. Auch die subjektive Voraussetzung sei erfüllt, da zumindest das Bewusstsein über die Teilunentgeltlichkeit bei der Darlehensgeberin vorgelegen habe.

Wesentlich war jedoch die Klarstellung des Bundesfinanzhofs hinsichtlich der Bemessung der Zinsersparnis: Anders als das Finanzgericht entschieden hatte, darf der gesetzlich vorgesehene Zinssatz von 5,5% nicht herangezogen werden, wenn – wie hier – ein konkreter marktüblicher Zinssatz feststeht. Im Streitfall lag dieser bei 2,81%, was sich aus den Statistiken der Deutschen Bundesbank ergab. Damit stand nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ein anderer Wert im Sinne des § 15 Absatz 1 BewG fest. Eine Pflicht des Steuerpflichtigen, diesen nachzuweisen, bestehe nicht. Entscheidend sei allein, dass ein marktüblicher Wert erkennbar und konkretisiert ist.

Auf dieser Grundlage ermittelte das oberste Finanzgericht den Nutzungsvorteil neu: Der Jahreswert der Zinsersparnis beträgt 1,81% der Darlehenssumme, also rund 34.000 Euro. Multipliziert mit dem Vervielfältiger 9,3 ergibt sich ein steuerpflichtiger Erwerb von knapp 316.000 Euro. Nach Abzug des Freibetrags von 20.000 Euro für Geschwister gemäß § 16 Absatz 1 Nummer 5 in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Steuerklasse II Nummer 2 ErbStG ergibt sich ein steuerpflichtiger Betrag von 296.000 Euro, der mit einem Steuersatz von 20% zu versteuern ist.

Diese Entscheidung verdeutlicht, dass bei der Bewertung von Zinsvorteilen auf den tatsächlich marktüblichen Zinssatz abzustellen ist, sofern dieser anhand objektiver Maßstäbe bestimmbar ist. Der gesetzliche Satz von 5,5% ist lediglich eine Auffangregel, nicht jedoch zwingend heranzuziehen, wenn ein anderer Wert konkret feststeht.