4. Für Familien: Zu den persönlichen Freibeträgen bei Schenkung und Erbschaft

Die Besteuerung von Erbschaften wirft oft Fragen auf, insbesondere wenn es um die Anwendung von Freibeträgen und die Auslegung zivilrechtlicher Fiktionen im steuerrechtlichen Kontext geht. Ein besonders streitträchtiger Punkt betrifft die Frage, ob ein zivilrechtlich als vorverstorben geltender Elternteil dazu führen kann, dass dem Enkel ein höherer erbschaftsteuerlicher Freibetrag gewährt wird, wie er für den Fall eines tatsächlich verstorbenen Kindes vorgesehen ist. Hintergrund ist die Regelung in § 16 Absatz 1 Nummer 2 Alternative 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG), wonach Kindern verstorbener Kinder ein Freibetrag von 400.000 Euro zusteht. Doch wie ist diese Regelung zu verstehen, wenn der Elternteil lediglich durch einen Erbverzicht nach § 2346 Absatz 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) als vorverstorben gilt?

Im konkreten Streitfall wurde der Kläger von seinem im Jahr 2019 verstorbenen Großvater testamentarisch zu einem Viertel als Erbe eingesetzt. Bereits im Jahr 2013 hatte der Vater des Klägers gegenüber dem Erblasser durch notariell beurkundeten Vertrag auf seinen gesetzlichen Erbteil sowie den Pflichtteil verzichtet. Die Erstreckung des Verzichts auf weitere Abkömmlinge war dabei ausdrücklich ausgeschlossen worden. In seiner Erbschaftsteuererklärung beantragte der Kläger, als Enkelkind des Erblassers einen Freibetrag in Höhe von 400.000 Euro in Anspruch nehmen zu dürfen. Er argumentierte, dass er nach § 2346 Absatz 1 Satz 2 des BGB als Kind eines verstorbenen Kindes im Sinne des § 16 Absatz 1 Nummer 2 Alternative 2 ErbStG gelte, da der Vater zivilrechtlich als vorverstorben anzusehen sei.

Das zuständige Finanzamt hingegen gewährte lediglich den Freibetrag in Höhe von 200.000 Euro gemäß § 16 Absatz 1 Nummer 3 des ErbStG, wie er für Enkel gilt, deren Eltern noch leben. Auch das Finanzgericht Niedersachsen folgte dieser Argumentation und wies die Klage ab. Der Kläger legte Revision ein und machte eine Verletzung der genannten Vorschriften sowie des Gleichheitsgrundsatzes aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) geltend. Er betonte insbesondere, dass bei Anwendung der zivilrechtlichen Fiktion ein doppelter Freibetrag nicht zur Verfügung stehe und daher auch keine Umgehung steuerlicher Regeln vorliege.

Der Bundesfinanzhof bestätigte mit Urteil vom 31.7.2024 unter dem Aktenzeichen II R 13/22 die Entscheidung des Finanzgerichts und wies die Revision zurück. Die obersten Finanzrichter stellten klar, dass die Vorversterbensfiktion des § 2346 Absatz 1 Satz 2 BGB im Erbschaftsteuerrecht nicht als tatsächliches Vorversterben gewertet wird. Der Wortlaut des § 16 Absatz 1 Nummer 2 Alternative 2 des ErbStG sei eindeutig: Es müsse sich um tatsächlich verstorbene Kinder handeln. Eine gesetzliche Fiktion reiche nicht aus, um die Voraussetzungen dieser Vorschrift zu erfüllen.

Auch eine systematische und teleologische Auslegung führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Gesetzgeber habe eine klare Staffelung der Freibeträge vorgenommen, die sich an der Nähe der verwandtschaftlichen Beziehung orientiere. So sei der erhöhte Freibetrag für Enkel nur dann vorgesehen, wenn die Eltern – also die Kinder des Erblassers – tatsächlich verstorben sind. Die Fiktion im Zivilrecht ändere nichts an der Tatsache, dass das verzichtende Kind weiterhin lebe und theoretisch auch noch durch Testament bedacht oder unterhaltsverpflichtet sein könne.

Eine analoge Anwendung des § 16 Absatz 1 Nummer 2 Alternative 2 ErbStG lehnte der Bundesfinanzhof ebenfalls ab. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe bewusst eine Differenzierung vorgenommen und die erhöhte Begünstigung nur für tatsächlich verwaiste Enkel vorgesehen. Eine analoge Anwendung würde zudem die gesetzliche Systematik unterlaufen und Steuerumgehungspotenziale eröffnen, etwa wenn sowohl das verzichtende Kind als auch dessen Kind jeweils in den Genuss des hohen Freibetrags kämen.

Verfassungsrechtlich hielt das oberste Finanzgericht diese Rechtslage ebenfalls für unbedenklich. Weder liege ein Verstoß gegen die Erbrechtsgarantie des Artikels 14 Absatz 1 Satz 1 Alternative 2 GG vor, noch sei der allgemeine Gleichheitssatz des Artikels 3 Absatz 1 GG verletzt. Die Vergleichsgruppen – Kinder tatsächlich verstorbener Elternteile und Kinder von nur fiktiv verstorbenen Eltern – seien nicht gleichartig, da letztere nach wie vor erben könnten.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Erbschaftsteuerrecht sich in der Auslegung des Tatbestandsmerkmals »verstorbenes Kind« nicht an zivilrechtliche Fiktionen wie die des § 2346 Absatz 1 Satz 2 BGB anschließt. Der Bundesfinanzhof hat damit eine klare Linie gezogen und aufgrund des Gesetzeswortlaut entschieden, dass steuerliche Vergünstigungen strikt an den tatsächlichen Verhältnissen auszurichten sind.