7. Für (ehemalige) Unternehmer: Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung auch bei Veräußerung von Wirtschaftsgütern gegen wiederkehrende Bezüge im Rahmen einer Betriebsaufgabe

Mandantenbrief WBS Gruppe

Wenn ein Unternehmer seinen Betrieb im Ganzen veräußert, also eine Betriebsveräußerung im Ganzen stattfindet, ist diese immer zu besteuern. Erfolgt die Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge, steht dem (ehemaligen) Unternehmer mit Blick auf die Besteuerung ein Wahlrecht zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung des entsprechenden Gewinnes zu.
Mit Urteil vom 29.6.2022 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen X R 6/20 entschieden, dass auch der Gewinn aus der Veräußerung eines großen Teils der betrieblichen Wirtschaftsgüter gegen eine Leibrente aufgrund der mit einer Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge vergleichbaren Interessenlage ebenfalls der Zuflussbesteuerung unterliegen kann. Ganz konkret: Auch in diesem Fall steht dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zu, den Gewinn aus der Veräußerung einzelner betrieblicher Wirtschaftsgüter im Rahmen der Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Maßgabe des Zuflusses der wiederkehrende Bezüge und zudem erst dann als realisiert anzusehen, wenn die wiederkehrenden Bezüge die Buchwerte der veräußerten Wirtschaftsgüter und die insoweit angefallenen Aufgabekosten übersteigen. Die Finanzverwaltung ist hingegen bis zu dieser Entscheidung davon ausgegangen, dass im Fall der Betriebsaufgabe nur die Sofortbesteuerung greifen kann. Eine Zuflussbesteuerung wollte der Fiskus in Fällen der Betriebsaufgabe (im Gegensatz zur Betriebsveräußerung) hingegen nicht gewähren. Mit dieser fiskalischen Meinung macht der Bundesfinanzhof durch die aktuelle Entscheidung nun jedoch Schluss.
Zur Begründung: Im Fall der Betriebsveräußerung gegen bestimmte wiederkehrende Bezüge entsprechend der Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG kann der Steuerpflichtige zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung wählen. Dies war bisher auch mit der Finanzverwaltung unumstritten.
Veräußert also ein Steuerpflichtiger seinen Betrieb gegen wiederkehrende Bezüge, insbesondere gegen eine Leibrente, gewähren sowohl die Rechtsprechung als auch die Finanzverwaltung in Richtlinie 16 Abs. 11 der Einkommensteuerrichtlinien (EStR) einkommensteuerrechtliche Erleichterungen. Die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung geht dabei davon aus, dass zwar die Sofortbesteuerung der gesetzliche Normalfall ist, die Zuflussbesteuerung aber eine auf Billigkeitserwägungen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruhende Ausnahmeregelung darstellt. So beispielsweise der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 17.7.2013 unter dem Aktenzeichen X R 40/10. Aus diesem Grund muss der Steuerpflichtige bei einer Betriebsveräußerung die Zuflussbesteuerung auch ausdrücklich wählen, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 5.11.2019 unter dem Aktenzeichen X R 12/17 klargestellt hat.
Die Eröffnung dieses Wahlrechts zur Zuflussbesteuerung hat der Bundesfinanzhof mit dem für den Veräußerer verbundenen Wagnis begründet und ergänzend auf den Versorgungscharakter dieser Zahlungen abgestellt.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung erkennt seit langem bei der Betriebsveräußerung gegen Leibrente das Wagnis in der personenbedingten Ungewissheit der Rentenlaufzeit durch die lebenslängliche Bindung. So bereits zu entnehmen einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 30.1.1974 unter dem Aktenzeichen IV R 80/70. Demzufolge wird dem Veräußerer ein Wahlrecht eingeräumt, den Veräußerungsgewinn entsprechend dem Zufluss zu versteuern. Das Einkommensteuergesetz enthält keine eindeutige Regelung über das Verhältnis zwischen § 16 und § 34 EStG einerseits und § 24 Nummer 2 EStG andererseits. Deshalb ist die Einkommensbesteuerung einer den Besonderheiten der Vertragsgestaltung im Einzelfall gerecht werdenden Auslegung zugänglich, deren Ergebnis darin bestehen kann, dass das Gesetz dem Steuerpflichtigen insoweit ein Wahlrecht einräumt. So auch bereits der seinerzeitigen Entscheidung des Bundesfinanzhofs aus 1974 zu entnehmen.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat darüber hinaus das Wahlrecht zwischen Sofortbesteuerung und Zuflussbesteuerung in Fällen anderer langfristig wiederkehrender Bezüge zugelassen, die nicht im Interesse des Erwerbers, sondern hauptsächlich im Interesse des Veräußerers vereinbart wurden, um dessen Versorgung zu sichern. Dabei hat der Bundesfinanzhof darauf hingewiesen, dass im Fall eines ungewöhnlich langen, nicht mehr übersehbaren Zeitraums diese Bezüge ähnlich wagnisbehaftet sind wie eine Leibrente. So beispielsweise in der Entscheidung vom 26.7.1984 unter dem Aktenzeichen IV R 137/82 mit weiteren Nennungen.
Auch hat der Bundesfinanzhof in diesen Fällen auf die ungewisse Versorgung des Veräußerers abgestellt. Erstreckt sich die Versorgung des Berechtigten nämlich über eine längere Zeit, ist eine Milderung des Grundsatzes der sofortigen Besteuerung der durch die Veräußerung des Betriebs realisierten stillen Reserven geboten und wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Besteuerung die Erfassung des Veräußerungserlöses erst im Zeitpunkt des Zuflusses notwendig.
Im Vordergrund der Argumentation dieser Rechtsprechung steht also das Risiko, dass im Fall eines frühen Todes des Veräußerers bei einer Sofortbesteuerung mehr versteuert werden muss, als dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugeflossen ist. So auch der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 17.7.2013 unter dem Aktenzeichen X R 40/10. Das Wahlrecht trägt daher dem Umstand Rechnung, dass einerseits die wiederkehrenden Bezüge mit ihrem Gegenstandswert zu bewerten sind und damit der Veräußerungsgewinn bereits im Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den wesentlichen Betriebsgrundlage verwirklicht wird, andererseits jedoch das (gemessen an der statistischen Wahrscheinlichkeit) vorzeitige Versterben des Rentenberechtigten nicht zu einer rückwirkenden Korrektur des Veräußerungsgewinns führt. So zu entnehmen einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 14.5.2002 unter dem Aktenzeichen VIII R 8/01.
Die Zuflussbesteuerung bewirkt insoweit lediglich eine zeitliche Streckung der anfallenden Steuerzahlungen, die sich der Steuerpflichtige durch den Verlust der Begünstigungen des § 16 Abs. 4 EStG, also des Freibetrags und des § 34 EStG, also des ermäßigten Steuersatzes, quasi erkauft.
Im Fall einer Betriebsaufgabe, bei der Wirtschaftsgüter gegen langfristig wiederkehrende Bezüge, insbesondere Leibrenten, veräußert werden, ist das Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung (wohl gemerkt natürlich nur auf die veräußerten Wirtschaftsgüter) ebenfalls zu gewähren, wie der Bundesfinanzhof in seiner aktuellen Entscheidung ganz ausdrücklich betont. Es liegt insoweit eine vergleichbare Interessenslage vor wie bei der Betriebsveräußerung im Ganzen.
Bislang hat der Bundesfinanzhof lediglich entschieden, dass ein solches Wahlrecht bei der Veräußerung eines einzelnen Wirtschaftsgutes gegen eine Leibrente aus einem fortbestehenden Betrieb nicht zu gewähren ist. So ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20.1.1971 unter dem Aktenzeichen I R 147/69. Diese Meinung hat der Bundesfinanzhof damit begründet, dass der Betrieb nach der Veräußerung des Wirtschaftsguts beim Veräußerer fortbesteht und der Gewinn des Todesjahres durch die Auflösung der aktivierten Leibrentenforderung gemindert wird. Dies gleicht das mit der Leibrente verbundene Risiko eines statistisch vorzeitigen Versterbens aus. In den Fällen der Betriebsveräußerung oder der Betriebsaufgabe ist dies jedoch anders.
Vom Urteilssachverhalt aus der Entscheidung aus 1971 unterscheidet sich jedoch eine Betriebsaufgabe, bei der ebenfalls Wirtschaftsgüter gegen wiederkehrende Bezüge veräußert werden. Denn ebenso wie nach der Betriebsveräußerung im Ganzen ist der Veräußerer nach einer Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Betriebsaufgabe nicht mehr Inhaber des Betriebes. Wie bei einer Betriebsveräußerung liegt es in seinem Interesse, für diese Veräußerung nicht mehr Einkommensteuer zahlen zu müssen, als er nach Maßgabe der tatsächlich zugeflossenen Rentenzahlung müsste. Dieses Risiko ist auch bei einer Betriebsaufgabe vorhanden. Stirbt der (frühere) Betriebsinhaber vor Erreichen seiner statistischen Lebenserwartung, hätte er einen Gewinn zu versteuern, der nachträglich nicht korrigiert werden kann, da kein rückwirkendes Ereignis gegeben ist, sondern sich ein vertragspermanentes Wagnis konkretisiert hat.
Aufgrund des beschriebenen Wagnischarakters und im Hinblick auf den Versorgungscharakter derartiger Bezüge erscheint eine Gleichbehandlung von Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe jeweils gegen wiederkehrende Bezüge sogar zwingend, so der Bundesfinanzhof in seiner aktuellen Entscheidung. Dies gilt dabei umso mehr, als im Fall der Betriebsveräußerung das Wahlrecht, die wiederkehrenden Bezüge erst bei Zufluss zu versteuern, schon damit eröffnet ist, wenn nur ein Teil des Kaufpreises in dieser Form erbracht wird, der andere Teil aber aus einer Einmalzahlung besteht.
Wie im Fall der Betriebsveräußerung kann das Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung bei der Betriebsaufgabe im Wege einer teleologischen Reduktion hergeleitet werden. Auch bei einem Betriebsaufgabegewinn, der wie der Veräußerungsgewinn zu behandeln ist, ist nicht geklärt, ob diese Vorschriften die Regelung des § 24 Nummer 2 EStG verdrängen. Sinn und Zweck der begünstigten Besteuerung des Veräußerungsgewinns (sowie des Aufgabegewinns) ist die Gewährung einer Tarifbegünstigung für den Fall einer zusammengeballten Realisierung der während vieler Jahre entstandenen stillen Reserven, die in den wesentlichen Grundlagen einer betrieblichen Sachgesamtheit angesammelt und in einem einheitlichen Vorgang aufgelöst werden. Die Regelung in § 24 Nummer 2 EStG ordnet dagegen zufließende Einkünfte nach der Beendigung einer Tätigkeit oder Einkunftsart dann der in der Vergangenheit verwirklichten Einkunftsart zu.
Da wie im Fall der Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge auch bei der Betriebsaufgabe unter Veräußerung von Wirtschaftsgütern nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine unverhältnismäßig hohe Besteuerung trotz der Begünstigungen droht, bedarf es der am Zweck dieser Norm orientierten Einschränkung der Besteuerung des wagnisbehafteten Teils des Veräußerungsgewinns bzw. des Aufgabegewinns. Folglich kann auch dieser Teil des Aufgabegewinns, wenn der Steuerpflichtige es denn will, nach dem Zufluss der Zahlungen besteuert werden.
Ganz ausdrücklich betonen die obersten Finanzrichter der Republik, dass dieses Wahlrecht im Fall der Betriebsaufgabe nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Steuerpflichtige einen Teil der zuvor betrieblich genutzten Wirtschaftsgüter in seinem Eigentum behält. Bereits bei einer Betriebsveräußerung ist es für die Anwendung des Wahlrechts auf Zuflussbesteuerung unerheblich, ob der Veräußerer die nötigen Mittel erhält, um die im Fall der Sofortbesteuerung zu erbringenden Steuern begleichen zu können. Zudem stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung lediglich auf das Wagnis des früheren Ausfalls der wiederkehrenden Bezüge und/oder den Versorgungscharakter dieser Zahlung für den Veräußerer ab.
Eine Beschränkung der Zuflussbesteuerung auf den Fall der Betriebsveräußerung lässt sich daher der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht entnehmen.

Einen Nachteil gibt es jedoch leider dennoch: Denn der Bundesfinanzhof stellt auch klar, dass im Falle der Zuflussbesteuerung eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG nicht in Betracht kommt. Je nach Einzelfall könnten sich daher Vergleichsberechnungen lohnen.