3. Für alle Steuerpflichtigen: Zur Auswirkung des Verlustrücktrages auf den Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr.

Zugegeben, schon die Überschrift hört sich eher ungewöhnlich an. Welche Auswirkungen mag ein Verlustrücktrag schon auf den Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr haben? Im Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 3.5.2023 unter dem Aktenzeichen IX R 6/21 zugrunde lag, geht es jedoch durchaus um eine sehr praktische Frage. Streitig ist insoweit gewesen, ob ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte im Streitjahr einen Steuererstattungsüberhang ausgleicht, obwohl die im Streitjahr nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte im unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum in voller Höhe vom dortigen Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen worden sind, also ein Verlustrücktrag durchgeführt wurde.

Das Gericht äußert sich zu dieser Frage wie folgt: Der Einkommensteuer unterliegen entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Einkünfte. § 2 Abs. 2 EStG verweist auf die Vorschriften über die Einkünfteermittlung. In § 2 Abs. 7 EStG ist geregelt, dass der Einkünfteermittlung das Prinzip der Abschnittsbesteuerung zugrunde liegt. Durch das Zusammenspiel dieser und der in Bezug genommenen Vorschriften werden alle verwirklichten, besteuerungsrelevanten Sachverhalte im Grundsatz einer Person und einer bestimmten Periode eindeutig zugeordnet. Eine Folge der eindeutigen zeitlichen Zuordnung ist, dass ein besteuerungsrelevanter Sachverhalt grundsätzlich nur in dieser und nicht in einer anderen Periode berücksichtigt wird. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass ein besteuerungsrelevanter Sachverhalt bei leistungsgerechter Besteuerung nur einmal berücksichtigt werden darf.

Gemäß § 2 Abs. 3 EStG werden die positiven und negativen Einkünfte einer Periode innerhalb der jeweiligen Einkunftsart (horizontal) und danach auch Einkunftsart übergreifend (vertikal) miteinander ausgeglichen bzw. verrechnet. Insoweit ist die Rechengröße der »Summe der Einkünfte« der Saldo der Einkünfte.

Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, sind in bestimmten Grenzen vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Zeitraums abzuziehen. Die Vorschrift durchbricht im Interesse einer leistungsgerechten Besteuerung das strenge Abschnittsprinzip, indem sie ermöglicht, dass negative Einkünfte, also Verluste, die im Entstehungsjahr mangels positiver ausgleichsfähiger Einkünfte nicht ausgeglichen werden, in einem anderen Besteuerungsabschnitt abgezogen werden. Das Gesetz überschreibt damit die ursprüngliche zeitliche Zuordnung der betreffenden Einkünfte, also die Abschnittsbesteuerung. Die Einkünfte werden, soweit sie dort abgezogen werden, mit steuerlicher Wirkung in das Abzugsjahr zurückgetragen.

Die Norm des § 10d Abs. 1 EStG regelt nicht ausdrücklich, welche Auswirkungen der Verlustrücktrag im Entstehungsjahr hat. Die Frage ist weder gerichtlich entschieden noch wird sie, soweit ersichtlich, im Schrifttum erörtert. Ist der Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr vor dem Verlustrücktrag negativ, wirkt es sich auf die Ermittlung des Einkommens und die Höhe der festzusetzenden Steuer nicht aus, ob er nach dem Verlustrücktrag gegebenenfalls bis auf null Euro erhöht wird. Anders ist dies, wenn ein Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Absatz 4b Satz 3 EStG das Einkommen erhöht. Dann stellt sich die Frage, ob der negative Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr ungeachtet des Verlustrücktrages weiterhin die Grundlage für die Ermittlung des Einkommens im Entstehungsjahr bildet und den Hinzurechnungsbetrag, der sich steuermindernd auswirkt, mindert.

Entsprechend der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 3.5.2023 unter dem Aktenzeichen IX R 6/21 ist diese Frage zu verneinen. Negative Einkünfte sind, soweit sie nach § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragen worden sind, zeitlich nicht mehr dem Entstehungsjahr zuzuordnen und bilden demzufolge auch nicht mehr die Grundlage für die Ermittlung des Einkommens im Entstehungsjahr. Für den Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr bedeutet dies, dass er nach der Durchführung des Verlustrücktrages um den Betrag der zurückgetragenen Einkünfte zu erhöhen ist. Sind die im Entstehungsjahr nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte in voller Höhe zurückgetragen worden, beträgt der Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr nach der Durchführung des Verlustrücktrages null Euro.

Das ist die Folge der materiell-rechtlichen Konzeption des Verlustrücktrages und der Grundregeln der periodengerechten Einkommensermittlung. Die in zeitlicher Hinsicht ursprünglich dem Entstehungsjahr zuzuordnen Einkünfte werden unter den Voraussetzungen des Verlustrücktrages dem Rücktragsjahr zugeordnet und dort berücksichtigt. Das bedeutet, dass sie im Rücktragsjahr eine Ausgangsgröße für die Ermittlung des im Rücktrag wirksam werdenden Verlustabzugs bilden. Dadurch wird eine vom Grundfall abweichende, eindeutige zeitliche Zuordnung bewirkt, die es wie die ursprüngliche zeitliche Zuordnung ausschließt, dass die betroffenen Besteuerungsgrundlagen zugleich in einem anderen Besteuerungsabschnitt berücksichtigt werden. Denn die zugrundeliegende Annahme, dass ein besteuerungsrelevanter Sachverhalt bei der Ermittlung des Einkommens nur einmal, das heißt in einer bestimmten Periode, und nicht zugleich in einer anderen Periode berücksichtigt werden kann, wird durch die Regelung des Verlustrücktrages nicht infrage gestellt, sondern bestätigt. Die eindeutige zeitliche Zuordnung einer Besteuerungsgrundlage ermöglicht es nicht nur, das Einkommen periodengerecht zu ermitteln. Sie bezweckt zugleich, Doppel- und Mehrfach-Berücksichtigungen auszuschließen. Dies ist notwendig, um den relevanten Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit gleichmäßig und sachgerecht ermitteln zu können.

Diese Wirkungsweise des Verlustabzugs zeigt sich auch darin, dass nur die nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte zurückgetragen werden können. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass negative Einkünfte, soweit sie im Entstehungsjahr ausgeglichen worden sind, für den Rücktrag nicht zur Verfügung stehen. Sie sind im Entstehungsjahr wirksam geworden und durch den Ausgleich schlichtweg verbraucht. Insofern verbleibt es bei der ursprünglichen zeitlichen Zuordnung. Entsprechendes muss daher gelten, soweit es zum Rücktrag, das heißt zu einer abweichenden zeitlichen Zuordnung der betreffenden Besteuerungsgrundlagen kommt. Diese können sich dann nur noch im Rücktragsjahr auswirken und sind danach für eine weitere Berücksichtigung im Entstehungsjahr wie auch für den Verlustrücktrag schlichtweg verbraucht.

Verfahrensrechtliche Folge davon ist, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes über Grund und Höhe des Verlustrücktrages im Rücktragsjahr zu entscheiden ist, wo sich der Verlustrücktrag auch tatsächlich auswirkt. So beispielsweise der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 10.3.2020 unter dem Aktenzeichen IX R 24/19. Diese Rechtsprechung wäre inkonsistent, wenn sich die zurückgetragenen Einkünfte auch im Entstehungsjahr auswirken würden.

Der Bundesfinanzhof fasst insoweit seine aktuelle Entscheidung unter folgenden zwei Leitsätzen zusammen:

  1. Negative Einkünfte sind, soweit sie nach § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragen worden sind, zeitlich nicht mehr dem Entstehungsjahr zuzuordnen und bilden demzufolge auch nicht (mehr) die Grundlage für die Ermittlung des Einkommens im Entstehungsjahr.
  2. Der negative Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr ist nach Durchführung des Verlustrücktrages, um den Betrag der zurückgetragenen Einkünfte zu erhöhen. Der durch den Verlustabzug modifizierte Gesamtbetrag der Einkünfte bildet die Ausgangsgröße für die weitere Ermittlung des Einkommens gemäß § 2 Abs. 4 EStG.