Die steuerliche Behandlung von Tantiemen ist quasi eine unendliche Geschichte im steuerlichen Streit mit der Finanzverwaltung und wirft bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern immer wieder komplexe Fragen auf. Besonders relevant ist für die Betroffenen die Frage, wann solche Tantiemen als zugeflossen gelten und somit der Einkommensteuer beim Gesellschafter unterliegen. Der Bundesfinanzhof hatte am 5.6.2024 unter dem Aktenzeichen VI R 20/22 einen Fall zu entscheiden, bei dem die steuerliche Einordnung von nicht ausgezahlten Tantiemen im Fokus stand.
Der Streitfall basiert dabei auf dem Hintergrund, dass der Kläger sowohl der alleinige Gesellschafter als auch der Geschäftsführer seiner GmbH war. Sein Anstellungsvertrag sah neben einem monatlichen Bruttogehalt eine erfolgsabhängige Tantieme in Höhe von 20 Prozent des Jahresgewinns vor, die spätestens einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses fällig wurde. In den hier maßgeblichen Streitjahren wurden die vereinbarten Tantiemen jedoch weder ausgezahlt noch in den Jahresabschlüssen der GmbH als Verbindlichkeit ausgewiesen. In seinen Einkommensteuererklärungen führte der Gesellschafter-Geschäftsführer die Tantiemen daher nicht als Einnahmen auf. Das zuständige Finanzamt sah dies anders und erhöhte im Rahmen einer Lohnsteuerprüfung den steuerpflichtigen Arbeitslohn des Klägers um die jeweiligen Tantiemebeträge. Es begründete dies damit, dass ein beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Tantiemen habe und diese daher bereits bei Fälligkeit als zugeflossen gelten.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg gab der Klage des Gesellschafters statt. Es entschied, dass nicht ausgezahlte Tantiemen auch einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zugeflossen sind, wenn die Gesellschaft keine entsprechenden Verbindlichkeiten in ihren Jahresabschlüssen passiviert hat. Die fehlende Berücksichtigung in der Bilanz führe dazu, dass die Tantiemen weder in den Streitjahren noch in späteren Zeiträumen das Einkommen der Gesellschaft minderten. Das Finanzamt legte daraufhin Revision ein, da es hierin einen Verstoß gegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sah, welche bisher auch einen anderen Tenor hatte.
Der Bundesfinanzhof hob das Urteil des Finanzgerichts auch tatsächlich auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Die Richter erklärten, dass Tantiemen grundsätzlich zum steuerpflichtigen Arbeitslohn gehören. Ihre Besteuerung setzt jedoch gemäß § 11 Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) voraus, dass sie dem Arbeitnehmer zugeflossen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs tritt der Zufluss von Einnahmen ein, wenn der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht über diese Beträge erlangt hat. Dies ist bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern in der Regel bereits mit der Fälligkeit der Forderung der Fall, da sie aufgrund ihrer Stellung innerhalb der Gesellschaft die Auszahlung der Beträge selbst bestimmen können. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Forderung eindeutig, unbestritten und fällig ist sowie in den Jahresabschlüssen der Gesellschaft als Verbindlichkeit ausgewiesen wurde.
Im vorliegenden Fall waren die Tantiemeforderungen nicht in den Jahresabschlüssen der GmbH passiviert worden, was nach Ansicht der Richter entscheidend ist. Ohne eine entsprechende Berücksichtigung in der Bilanz lag keine Fälligkeit der Forderungen vor. Ein steuerpflichtiger Zufluss konnte daher nicht festgestellt werden. Das Gericht stellte außerdem klar, dass die unterlassene Passivierung einer Verbindlichkeit aufgrund fehlerhafter Buchführung keine Fälligkeit begründen kann. Mit anderen Worten und vor Allem gegen die Auffassung der Finanzverwaltung in den Schreiben des BMF vom 12.5.2024 entschied der Bundesfinanzhof folglich: Tantiemeforderungen, die in den festgestellten Jahresabschlüssen nicht ausgewiesen sind, fließen dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu, auch wenn eine dahingehende Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in den (festgestellten) Jahresabschlüssen hätte gebildet werden müssen.
Zusätzlich wies der Bundesfinanzhof auf eine weitere mögliche Konstellation hin: Sollte der Gesellschafter auf seine Tantiemeansprüche verzichtet haben, könnte dies als verdeckte Einlage in die Kapitalgesellschaft zu werten sein. Ein solcher Verzicht führt steuerlich ebenfalls zu einem Zufluss in Höhe des Forderungswertes, soweit die Forderung zum Zeitpunkt des Verzichts werthaltig war. Das Finanzgericht hatte hierzu jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
Der Bundesfinanzhof forderte daher, dass im zweiten Rechtsgang geklärt wird, ob der Gesellschafter auf die Ansprüche verzichtet hat und ob dies gegebenenfalls als verdeckte Einlage anzusehen ist.