3. Für alle Steuerpflichtigen: Zur Frage des Vorliegens einer Lieferung bei dezentral verbrauchtem Strom

Lieferungen sind ausweislich der gesetzlichen Regelung in § 3 Absatz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Leistungen, durch die ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Es muss also die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft werden.

Hiervon ist bei der Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag auszugehen, die allerdings häufig mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentum verbunden ist, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 24.10.2013 unter dem Aktenzeichen V R 17/13 herausgearbeitet hat.

Ob die Verfügungsmacht in diesem Sinne übertragen wird, richtet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls, also den konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten. So ebenfalls bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 9.9.2015 unter dem Aktenzeichen XI R 21/13.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist nicht von einer Übertragung der Verfügungsmacht durch den Anlagenbetreiber auf den Netzbetreiber auszugehen. Strom ist zwar grundsätzlich ein Gegenstand, der geliefert werden kann, denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs werden mit dem Wort sowohl Sachen (körperliche Gegenstände) als auch solche Wirtschaftsgüter erfasst, die im Verkehr wie körperliche Gegenstände behandelt werden. Zu letzteren gehören beispielsweise der elektrische Strom, die Wasserkraft und der Firmenwert.

Auch steht einer Verschaffung der Verfügungsmacht nicht die fehlende physische Verbindung zum Netzbetreiber entgegen, da die KWK-Anlage des Anlagenbetreibers an das Netz des Netzbetreibers angeschlossen ist. Außerdem besteht zwischen dem Betreiber einer KWK-Anlage und dem Netzbetreiber ein sich aus dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) ergebendes gesetzliches Schuldverhältnis. Der Netzbetreiber, bei dem die KWK Anlage angeschlossen ist, ist verpflichtet, den in dieser Anlage erzeugten Strom vorrangig abzunehmen und zu vergüten.

Allerdings wird der in der KWK-Anlage erzeugt Strom im vorliegenden Streitfall beim Finanzgericht Köln gerade nicht in das Netz des Netzbetreibers eingespeist. Infolge der fehlenden Einspeisung des Stroms in das allgemeine Stromnetz werden weder Substanz noch Wert oder Ertrag des in der KWK-Anlage erzeugten und dezentral verbrauchten Stroms vom Anlagenbetreiber auf den Netzbetreiber übertragen. Weder die bloße Möglichkeit, dass in der KWK-Anlage erzeugter Strom infolge des Netzanschlusses eingespeist werden könnte, noch die Verpflichtung des Netzbetreibers zur Zahlung des KWK-Zuschlags ändert hieran etwas. Denn auch diese Umstände begründen keine Übertragung von Substanz, Wert oder Ertrag. Der Netzbetreiber erhält weder aufgrund des Netzanschlusses noch aufgrund seiner Verpflichtung zur Zahlung des Zuschlags die Befähigung, wie ein Eigentümer über den dezentral verbrauchten Strom zu verfügen.

Schließlich ist auch unter dem Aspekt der sogenannten Vertragseinspeisung, die es in der Stromwirtschaft neben der physikalischen Einspeisung gibt, vorliegend keine Verschaffung der Verfügungsmacht an dezentral verbrauchtem Strom anzunehmen. Bei der sogenannten Vertragseinspeisung übernimmt der Netzbetreiber die Elektrizität lediglich nominell, obwohl der in der KWK-Anlage erzeugte Strom selbst verbraucht oder Dritten zur Verfügung gestellt wird und damit ein messbarer Lastfluss an der Verbindung von Anschlussleitung und Netz der allgemeinen Versorgung gerade nicht stattfindet.

Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 20.6.2013 unter dem Aktenzeichen Rs. C-219/12 herleiten. In der genannten Entscheidung nahm der europäische Gerichtshof zwar eine Lieferung zwischen Anlagenbetreiber und Netzbetreiber an, obwohl der eigene Strombedarf des Anlagenbetreibers größer war als die Menge des selbst erzeugten Stroms. Allerdings handelte es sich um eine sogenannte netzgeführte Stromerzeugungsanlage (mit anderen Worten eine Fotovoltaikanlage), bei der der produzierte Strom tatsächlich in das Netz eingespeist wurde und der verbrauchte Strom vom Betreiber des Netzes gekauft wurde.

Mit Urteil vom 16.6.2021 hebt das Finanzgericht Köln daher unter dem Aktenzeichen 9 K 1260/19 hervor, dass auch die Auffassung der Finanzverwaltung im Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 14.3.2011, wonach bei dezentralem Verbrauch von KWK-Strom generell eine Lieferung des Stroms vom Anlagenbetreiber an den Netzbetreiber und sodann eine Rücklieferung des Netzbetreibers an den Anlagenbetreiber erfolgt, nichts an den vorherigen Aussagen ändert. Klar und deutlich stellt der erkennende Senat dar, dass er weder formell an die Auffassung der Finanzverwaltung gebunden ist noch sich durch die Berücksichtigung der Auffassung der Finanzverwaltung etwas an der materiellen Auslegung der zugrunde zu legenden Rechtsnormen ändert.

Folglich gilt: Da dem Netzbetreiber am dezentral verbrauchten Strom keine Verfügungsmacht verschafft wurde, ihm mithin kein Strom geliefert wurde, konnte er auch seinerseits dem Anlagenbetreiber den Strom nicht zurückliefern. Der Netzbetreiber konnte dem Anlagenbetreiber weder Substanz, Wert oder Ertrag am dezentral verbrauchten Strom übertragen. Somit liegt keine Lieferung entsprechend der umsatzsteuerlichen Regelungen des § 3 Abs. 1 UStG vom Netzbetreiber an den Anlagenbetreiber vor.

 

Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage und der Tatsache, dass sich bisher der Bundesfinanzhof zu dieser konkreten Thematik offensichtlich noch nicht geäußert hat, hat das erstinstanzliche Finanzgericht Köln die Revision nach München zugelassen. Unter dem Aktenzeichen XI R 18/21 müssen daher die obersten Finanzrichter der Republik klären, ob hier eine entsprechende Hin- und Rücklieferung fingiert werden kann, oder ob eine solche auch für umsatzsteuerliche Zwecke definitiv nicht stattfindet.