6. Für Immobilieneigentümer: Zum Nachweis einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer bei Gebäuden

Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffung- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt. Man spricht dabei von der sogenannten Abschreibung für Abnutzung (kurz AfA) in gleichen Jahresbeträgen.

Die Absetzung bemisst sich hierbei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsgutes. Abweichend von dieser Grundregel bestimmt sich die Abschreibung für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude nach den festen Prozentsätzen der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Diese Regelung stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer dar.

Ausweislich der weiteren Vorschrift in § Ziffer 7 Abs. 4 Satz 2 EStG kann anstelle der typisierenden Nutzungsdauer die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechende Abschreibung vorgenommen werden. Nutzungsdauer in diesem Zusammenhang ist dabei schon ausweislich der Regelung in § 11f c Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob der Abschreibung eine die gesetzlich vorgesehenen, typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalles.

Es ist insoweit Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten darzulegen und gegebenenfalls im Rahmen der ihm obliegenden Feststellungslast nachzuweisen. Die Würdigung der insoweit vom Steuerpflichtigen dargelegten Umstände obliegt dann in einem eventuellen Klageverfahren dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz.

All dies hatte der Bundesfinanzhof in München bereits in einer grundlegenden Entscheidung vom 28.7.2021 festgelegt. Zusammengefasst gilt nach dieser Entscheidung, dass sich der Steuerpflichtige zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen kann, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit lediglich, dass aufgrund der Darlegung des Steuerpflichtigen der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden kann. Ganz ausdrücklich ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer. Vielmehr sind auch ganz ausdrücklich modellhafte Berechnungen bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer nicht ausgeschlossen. So zumindest die bisher einhellige Meinung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit oben genannter Entscheidung.

Nicht dieser Auffassung ist hingegen die Finanzverwaltung, was sie in einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 22.2.2023 klar aufgezeigt hat. Dieser Verwaltungserlass, der auch als Nichtanwendungserlass der höchstrichterlichen Rechtsprechung bezeichnet werden muss, widerspricht insoweit den obersten Finanzrichtern der Republik, als dass Modellansätze für die Ermittlung der Restnutzungsdauer, beispielsweise nach der Immobilienwertermittlungsverordnung, nicht als geeignet angesehen werden.

Schon an dieser Stelle kann daher festgestellt werden, dass uns die Thematik in der Zukunft noch mehrfach begegnen wird, sofern die Finanzverwaltung nicht von ihrer fiskalisch motivierten Meinung abrücken wird. Tatsächlich stellen sich die Finanzbeamten nämlich ganz klar gegen die Meinung der Rechtsprechung. Gründe, warum sich die Rechtsprechung jedoch ändern sollte, sind indes nirgends ersichtlich. Vielmehr ist eine weitere Entscheidung unmittelbar vor Veröffentlichung des Verwaltungserlasses seitens des Finanzgerichtes Münster ergangen, das ebenfalls auf Linie des Bundesfinanzhofs entschieden hat. Auch wenn diese Entscheidung einige Tage vor dem Verwaltungserlass ergangen ist, so ist doch davon auszugehen, dass es sich hierbei praktisch um eine zeitliche Überschneidung handelt.

In diesem erstinstanzlichen Urteil haben die Finanzrichter bereits im Leitsatz festgelegt: Ein vom Steuerpflichtigen eingeholtes Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit einer Ermittlung des Ertragswerts des Immobilienbestandes gemäß der Immobilienwertermittlungsverordnung, in dem unter Berücksichtigung von Um- und Ausbau- oder Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen die Auswirkungen auf die Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer einzelner Gebäude einbezogen worden ist, kann der Ermittlung der Abschreibung für ein Mietobjekt zugrunde gelegt werden. Insoweit gehen auch die erstinstanzlichen Finanzrichter des Finanzgerichtes Münster davon aus, dass es nicht die von der Finanzverwaltung überbordenden Voraussetzungen benötigt, um eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer als die im Gesetz typisierte nachzuweisen.

So plädieren auch die Münsteraner Richter, dass sich der Steuerpflichtige zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen kann, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist auch nach Auffassung der erstinstanzlich erkennenden Richter insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist. Zu den maßgeblichen Determinanten im Sinne dieser Regelung gehören dabei insbesondere der technische Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie eventuelle rechtliche Nutzungsbeschränkungen.

Ganz klar und in Übereinstimmung mit bisher jeglicher erstinstanzlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung führt das Finanzgericht Münster weiter aus: Die Bestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein, ob er sich mit dem typisierten Abschreibungssatz zufriedengibt oder er eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und darlegt. Auszugehen ist dabei von der Schätzung des Steuerpflichtigen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtige üblicherweise anstellt. Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen keinesfalls Gewissheit über die kürzere tatsächlichen Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, ist sie nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. So auch bereits die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vom 28.7.2021.

Vor diesem Hintergrund führen die erstinstanzlichen Richter mit Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung aus, dass etwa die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer ist. Sofern der Steuerpflichtige oder ein von ihm beauftragter Sachverständiger daher aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode wählt, kann diese (gegebenenfalls unter Berücksichtigung entsprechender Anpassungen) Grundlage für die im Einzelfall erforderliche Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein, soweit aus der gewählten Methode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind.

Da im Rahmen der Schätzung nur die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere tatsächlichen Nutzungsdauer verlangt werden kann, würde eine Verengung der Gutachtermethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast vollkommen überspannen, so die erstinstanzlichen Richter.

Klar und deutlich führen sie an: Auch das Verfahren der Immobilienwertermittlungsverordnung kann im Rahmen des Nachweises einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer Anwendung finden. Auch wenn das dabei anwendbare Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung von Modernisierungen nicht primär darauf gerichtet ist, die tatsächliche Nutzungsdauer zu ermitteln, kann ein solches Modell geeignet sein, eine sichere Überzeugung über die im Einzelfall anzuwendende Schätzungsgrundlage zu bilden. Eine Rechtfertigung, vom baurechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit der Bewertungsverfahren aus steuerrechtlichen Gründen abzuweichen, besteht insoweit nicht. Dies hatte beispielsweise der Bundesfinanzhof in einer sehr aktuellen Entscheidung vom 20.9.2022 unter dem Aktenzeichen IX R 12/21 zur Wahl der Wertermittlungsmethode bei der Aufteilung eines Gesamtkaufpreises für ein Immobilienobjekt in Grund- und Boden- sowie Gebäudeanteil für Zwecke der Abschreibung klargestellt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Sachverständigengutachten zu der Überzeugung gelangt, dass die verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne der Vorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in Bezug auf die streitgegenständlichen Immobilien zutreffend zugrunde gelegt wurde und sich für die Streitjahre dementsprechend die darauf basierenden höheren Abschreibungsbeträge ergeben.

Die Urteilsbegründung des Finanzgerichtes Münster enthält insoweit noch zahlreiche weitere Argumente, warum im hier vorliegenden Einzelfall tatsächlich die kürzere Nutzungsdauer zur Anwendung kam. Insbesondere verwirft das Finanzgericht zahlreiche Argumente des Finanzamtes, wonach vorgelegte Gutachten im Einzelfall nicht anerkannt werden können. Die Praxis zeigt dabei, dass sich diese Argumente seitens des Fiskus immer wiederholen. Betroffenen sei daher geraten, sich hier insbesondere auch noch die fallspezifischen Argumentationen unter Punkt zwei der Urteilsbegründung zu Gemüte zu führen.

 

Ganz ausdrücklich hat das erstinstanzliche Finanzgericht Münster die Revision zum Bundesfinanzhof nicht zugelassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert sie die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung durch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs. Ganz deutlich führen die erstinstanzlichen Richter an, dass es sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung allgemein anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze handelt. Tatsächlich steht auch nicht zu erwarten, dass die Finanzverwaltung, trotz einer vollkommen gegenteiligen Meinung in ihrem Nichtanwendungserlass, gegen die Entscheidung aus Münster die Nichtzulassungsbeschwerde einreichen wird. Zum einen wird es schon aus verfahrensrechtlicher Sicht schwierig, dies im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde zu begründen. Zum anderen, und dies dürfte der wesentlich gewichtigere Grund sein, sind die Chancen auf eine anderslautende Entscheidung des Obersten Gerichtes vollkommen gering.Es ist kaum vorstellbar, dass sich der Bundesfinanzhof in seiner Meinung in so kurzer Zeit vollkommen dreht, weshalb die Finanzverwaltung mit einer Revision zum Bundesfinanzhof auch nur eine weitere, die bereits vorhandene Rechtsprechung bestätigende, Entscheidung riskieren würde. Der teilweise Nichtanwendungserlass wäre dann nur noch Makulatur.

Dies bedeutet aber leider auch, dass sich Betroffene im Streit um die tatsächlich kürzere Nutzungsdauer einer zur Einkünfteerzielung genutzten Immobilie selbst an die Gerichte wenden müssen. Wie eingangs schon gesagt, wird es daher sicherlich zu weiteren Entscheidungen und insbesondere auch weiteren für Steuerpflichtige positiven Entscheidungen kommen, sodass die Auffassung der Finanzverwaltung immer weiter ins Wackeln geraten wird. Der ganz klare Rat lautet daher in entsprechenden Fällen, sich nicht vom Finanzamt einschüchtern zu lassen und auch den Klageweg nicht zu scheuen. Denn die Gerichte sind nicht an die Erlasse des Bundesfinanzministeriums gebunden.