Erst mit Entscheidung vom 24.10.2019 hat das erstinstanzliche Finanzgericht Münster unter dem Aktenzeichen 3 K 3184/17 Erb entschieden, dass dem Erben eines Familienheims die Steuerbefreiung nicht gewährt wird, wenn er das Objekt erst nach dreijähriger Renovierung bezieht und er die Überschreitung des angemessenen Zeitraums von sechs Monaten für eine unverzügliche Selbstnutzung zu vertreten hat. Seinerzeit berichteten wir bereits über diese Entscheidung.
Fast schon ein wenig überraschend hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 6.5.2021 unter dem Aktenzeichen II R 46/19 das Urteil jedoch aufgehoben und entsprechend der Revision der Kläger entschieden. Aber nun zum Hintergrund und zur genauen Einordnung:
Ausweislich der gesetzlichen Vorschrift in § 13 Abs. 1 Nummer 4 c Satz 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) ist unter anderem der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland bebauten Grundstück durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nummer 2 steuerfrei.
Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war. Weiterhin muss die Wohnung beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt sein, es muss sich also um ein Familienheim handeln. Ebenso ist die Steuerbefreiung auf die Wohnfläche der Wohnung von 200 m² beschränkt.
Die Steuerbefreiung kann auch den Erwerb einer auf einem bebauten Grundstück gelegenen Wohnung umfassen, wenn diese räumlich an die vom Erwerber bereits selbst genutzte Wohnung angrenzt und nach dem Erwerb beide Wohnungen zu einer einheitlichen selbstgenutzten Wohnung verbunden werden. Hinsichtlich der Wohnflächenbegrenzung kommt es allein darauf an, dass die Größe der hinzu erworbenen Wohnung 200 m² nicht übersteigt. Ob die Gesamtwohnfläche der nach Verbindung entstanden Wohnung mehr als 200 m² beträgt, ist hingegen nicht ausschlaggebend. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, der allein auf die Größe des erworbenen Familienheims abstellt.
Wie eingangs schon gesagt, muss jedoch die hinzu erworbene Wohnung beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt sein. Es muss sich also um ein Familienheim handeln. Eine Wohnung ist zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt, wenn der Erwerber die Absicht hat, die Wohnung selbst zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, und diese Absicht auch tatsächlich umsetzt.
Die Absicht des Erwerbers zur Selbstnutzung der Wohnung lässt sich als eine innere Tatsache allerdings nur anhand äußerer Umstände feststellen. Erforderlich ist deshalb, dass der Erwerber in die Wohnung einzieht und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutzt. Die bloße Widmung zur Selbstnutzung, beispielsweise durch Angabe in der Erbschaftsteuererklärung, reicht hingegen keinesfalls aus, wenn kein tatsächlicher Einzug erfolgt. Dies ist mittlerweile auch hinreichend durch den Bundesfinanzhof mit der Entscheidung vom 28.5.2019 unter dem Aktenzeichen II R 37/16 geklärt. Dasselbe gilt im Übrigen, wenn der Erwerber durch Äußerungen gegenüber Dritten seine Absicht zum Einzug gelegentlich bekundet.
Der Erwerber zieht in diesem Zusammenhang nicht tatsächlich in die Wohnung ein, wenn er sie nur als Lagerraum benutzt oder sich zum Beispiel gelegentlich im Garten, auf dem Balkon, im Keller oder auf dem Dachboden aufhält. Der Begriff des Familienheims erfordert es vielmehr, dass der Erwerber dort den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat. Dafür bedarf es einer Nutzung zu eigenen Wohnzwecken.
Ebenso muss der Erwerber die Wohnung „unverzüglich“, darunter versteht man ohne schuldhaftes Zögern, zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmen.
Unverzüglich erfolgt eine Handlung in diesem Zusammenhang nur dann, wenn sie innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeit vorgenommen wird. Dies bedeutet ganz konkret, dass ein Erwerber zur Erlangung der Steuerbefreiung für ein Familienheim innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung des Hauses fassen und tatsächlich umsetzen muss. Noch konkreter ist regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall angemessen. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Erwerber in der Regel prüfen, ob er einziehen will, entsprechende Renovierungsarbeiten vornehmen und den Umzug durchführen. So zumindest die offizielle Meinung.
Wird die Selbstnutzung der Wohnung erst nach Ablauf von sechs Monaten aufgenommen, kann ebenfalls eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen. Allerdings muss der Erwerber in diesem Fall darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat. Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzugs führen (wie z.B. eine Renovierung der Wohnung), sind nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Renovierung deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel der Wohnung entdeckt wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss.
Es obliegt dem Erwerber, die Renovierungsarbeiten und die Beseitigung etwaiger Mängel zeitlich so zu fördern, dass es nicht zu Verzögerungen kommt, die nach der Verkehrsanschauung als unangemessen anzusehen sind. Ein unverhältnismäßiger Aufwand zur zeitlichen Beschleunigung ist jedoch nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus, wenn der Erwerber alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergreift.
Eine zeitliche Verzögerung des Einzugs aufgrund von Renovierungsarbeiten ist dem Erwerber nicht anzulasten, wenn er die Arbeiten unverzüglich in Auftrag gibt, die beauftragten Handwerker sie aber aus Gründen, die der Erwerber nicht zu vertreten hat, beispielsweise wegen einer hohen Auftragslage, nicht rechtzeitig ausführen können.
Ein weiteres Indiz für die unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung ist die zeitnahe Räumung bzw. Entrümpelung der erworbenen Wohnung. Verzögert sich der Einzug hingegen deshalb, weil zunächst ein gravierender Mangel beseitigt werden muss, ist eine spätere Entrümpelung der Wohnung unschädlich, wenn sie nicht ihrerseits zu einem verzögerten Einzug führt.
Da es sich insoweit um eine Steuerbefreiungsvorschrift handelt, trägt der Erwerber für alles Vorgenannte die objektive Beweislast, mithin die Feststellungslast. Auch dies wurde zumindest erstinstanzlich bereits in der Rechtsprechung mehrfach klargestellt. So beispielsweise das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 20.7.2015 unter dem Aktenzeichen 1 K 392/15 oder die Entscheidung des Finanzgerichts Nürnbergs mit Urteil vom 4.4.2018 unter dem Aktenzeichen 4 K 476/16. Hinsichtlich der unverzüglichen Bestimmung zur Selbstnutzung sind die Anforderungen an die Darlegung des Erwerbers und seine Gründe für die verzögerte Nutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke umso höher, je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und dem tatsächlichen Einzug des Erwerbers in die Wohnung ist.
Das Finanzgericht hat indes die Auffassung vertreten, dass ein Steuerpflichtiger nur dann berechtigt ist die Steuerbefreiung in Anspruch zu nehmen, wenn er bestimmte, beschleunigende und möglicherweise kostenintensivere Maßnahmen zu Renovierung und Schadensbeseitigung ergreift. Dieser Maßstab ist jedoch aus Sicht des obersten Finanzgerichts der Republik deutlich zu streng, weshalb es die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben hat.
Folglich kommt der Bundesfinanzhof zu dem Schluss, dass der wegen der Beseitigung eines gravierenden Mangels eintretende Zeitverzug der unverzüglichen Selbstnutzung nicht (unbedingt) entgegensteht, wenn der Erwerber den Baufortschritt angemessen fördert.
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Vorliegend war die Streitfrage nicht spruchreif, da das erstinstanzliche Finanzgericht im ersten Rechtsgang bereits davon ausgegangen ist, dass die Steuerbefreiung zu versagen ist, weil der Kläger nicht alles technisch Denkbare unternommen hat, um so schnell wie möglich in die Selbstnutzung einzutreten. Wie der Bundesfinanzhof nun jedoch klarstellt, kann vom Erwerber lediglich der Aufwand gefordert werden, der nach der Verkehrsanschauung als angemessene Förderung des Baufortschritts zu qualifizieren ist.
Insoweit wird das erstinstanzliche Finanzgericht im zweiten Rechtsgang die Verhältnisse des vorliegenden Streitfalls erneut würdigen müssen, um zu klären, ob der Baufortschritt angemessen gefördert wurde.