Ausweislich der gesetzlichen Vorschrift in § 24 b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) können alleinstehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das sie einen Kinderfreibetrag erhalten oder für das ihnen Kindergeld zusteht. Die Regelung bestimmt, dass alleinstehend im Sinne des § 24 b Abs. 1 EStG solche Steuerpflichtigen sind, die nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens erfüllen oder verwitwet sind und keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bilden, es sei denn, für diese steht ihnen ein Kinderfreibetrag oder Kindergeld zu oder es handelt sich um ein Kind, das einen sozialen Dienst leistet. Die weitere Regelung in § 24 b Abs. 4 EStG regelt, dass sich der Entlastungsbetrag für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen, welche zuvor genannt wurden, nicht vorgelegen haben, um ein Zwölftel verringert.
Diese vorgenannte Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass auch Steuerpflichtige, die als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Eheschließung zeitanteilig in Anspruch nehmen können, sofern sie die übrigen Voraussetzungen erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person leben.
Zwar erwähnt die Regelung des § 24 b Abs. 3 Satz 1 EStG ausdrücklich das Splittingverfahren, auch wenn die Vorschrift lediglich auf die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens abstellt und nicht verlangt, dass die Einkommensteuer tatsächlich nach diesem Verfahren bemessen wird. § 24 Abs. 3 Satz 1 EStG verweist jedoch zusätzlich auf die in § 26 Abs. 1 EStG geregelten materiell-rechtlichen Voraussetzungen für beide Formen der Ehegattenveranlagung, nicht aber auf das Erfordernis der Ausübung des Ehegattenwahlrechts sowie die Folgen einer unterbliebenen oder fehlerhaften Wahlrechtsausübung. Insoweit sind ausweislich der Regelungen im Einkommensteuergesetz die Voraussetzungen für die Ehegatten-Veranlagung schon dann für den gesamten Veranlagungszeitraum erfüllt, wenn sie tatsächlich nur zeitweise gleichzeitig gegeben waren. Daraus leiten die Finanzverwaltung und ihr folgend die überwiegenden Stimmen im Schriftentum ab, dass die Gewährung des Entlastungsbetrags in jedem Fall ausgeschlossen ist, wenn Ehegatten der Ehegattenveranlagung unterliegen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine Haushaltsgemeinschaft bilden oder nicht.
Dieser Rechtsauffassung möchte jedoch der Bundesfinanzhof in seiner vorliegenden Entscheidung vom 28.10.2021 unter dem Aktenzeichen III R 57/20 nicht folgen. Nach Auffassung der Richter wird dabei nämlich unberücksichtigt gelassen, dass sich der Entlastungsbetrag für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen nicht vorliegen, um ein Zwölftel verringert. Einige Stimmen in der Literatur befürworten daher die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrags.
Sinn und Zweck des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende sprechen für die Anwendung des Monatsprinzips im Jahr der Eheschließung und damit für die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrags, wie das oberste Finanzgericht der Republik in der zuvor genannten Entscheidung vom 28.10.2021 ausführt.
Nach der Gesetzesbegründung diente die Einführung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende dazu, den regelmäßig höheren Lebensführungskosten von Steuerpflichtigen Rechnung zu tragen, die einen gemeinsamen Haushalt nur mit ihren Kindern führen. Es geht dabei um die sogenannten echten alleinerziehenden Steuerpflichtigen. Auch die Materialien zu den späteren Änderungen der Regelung weisen die sogenannten echten Alleinerziehende als Begünstigte aus, welche einen gemeinsamen Haushalt nur mit ihren Kindern und keiner anderen erwachsenen Person führen, die tatsächlich oder finanziell zum Haushalt beiträgt. Außerdem sollte mit der Regelung gewährleistet werden, dass nichteheliche, aber eheähnliche Lebensgemeinschaften nicht in unzulässiger Weise gegenüber Ehepaaren begünstigt und Ehepaare benachteiligt werden. Der Bundesfinanzhof hat insoweit in § 24b EStG eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Begünstigung, mithin eine Sozialzwecknorm, gesehen, mit der das Fehlen von Synergieeffekten durch eine gemeinsame Haushaltsführung mit anderen erwachsenen Personen kompensiert werden soll.
In der Situation eines Alleinerziehenden befinden sich auch Steuerpflichtige, die vor der Heirat im Jahr der Eheschließung allein mit ihren berücksichtigungsfähigen Kindern leben und in dieser Zeit die alleinige Verantwortung für Haushalt und Kinder tragen. Die damit typischerweise verbundenen Belastungen entstehen unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt sind, weil der Steuerpflichtige im selben Veranlagungszeitraum auch einige Tage oder Monate mit seinem Ehegatten zusammenlebt. Die zeitanteilige Entlastung dieser Elternteile entspricht somit dem Gesetzeszweck, wie der Bundesfinanzhof vorliegend herausgearbeitet hat.
Die entstandenen Belastungen entfallen auch nicht rückwirkend durch die Ehegattenveranlagung. Die Anwendung des Splittingverfahrens kompensiert den in der Versagung der Steuerentlastung liegenden Nachteil nicht. Das Splittingverfahren dient dazu, Ehen, in denen sich die Ehepartner für die Möglichkeit der Zusammenveranlagung entschieden haben, unabhängig von der Verteilung des Einkommens zwischen den Ehegatten gleich zu besteuern. Auch soweit im Splittingverfahren der Gedanke der Familienförderung zugrunde liegt, da die mit ihm bezweckte Gleichbehandlung den Spielraum der Ehepartner bei der Ausgestaltung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung und der Aufgabenverteilung in der Ehe erweitert, wirkt dies nicht kompensierend, weil die Anwendung des Splittingverfahrens nicht in jedem Fall eine Steuerentlastung der Ehegatten zur Folge hat. Die Entlastungswirkung der Zusammenveranlagung hängt von der Höhe der jeweiligen Einkünfte bei den Ehegatten und vom Progressionssatz ab. Die Zusammenveranlagung wirkt sich kaum aus, wenn beide Ehegatten erwerbstätig sind und die Einkünfte in ähnlicher Höhe erzielen. Im Fall der Einzelveranlagung scheidet ein Ausgleich durch einen etwaigen Splittingvorteil ohnehin aus.
Auch aus der systematischen Stellung der Normen ergibt sich, dass dem Monatsprinzip beim Entlastungsbetrag für alleinerziehende Steuerpflichtige der Vorrang zukommt. Die Regelungen zum Splittingverfahren gehören zu den Tarifvorschriften, die an das zu versteuernde Einkommen anknüpfen. Aufgrund des Charakters der Einkommensteuer als Jahressteuer sind die Besteuerungsgrundlagen auf das Kalenderjahr bezogen zu ermitteln. Die Einkommensteuer wird nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum bezogen hat. Grundsätzlich bemisst sich die Einkommensteuer dabei nach dem in § 32a Abs. 1 EStG geregelten Tarif. Für den Fall sich innerhalb des Jahres ändernder tatsächlicher Umstände hat der Gesetzgeber entschieden, es für die Gewährung des Splittingtarifs anstelle des Grundtarifs ausreichen zu lassen, wenn die Ehegatten die genannten Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung nur während eines Teils des Veranlagungszeitraums gleichzeitig erfüllt haben.
Die Vorschrift des Entlastungsbetrags ist für alleinerziehende Steuerpflichtige dagegen eine Freibetragsregelung, die auf der Ebene der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte anzuwenden ist. Als solche kann sie wegen des geregelten Monatsprinzips differenziert die sich im Laufe des Veranlagungszeitraums ändernden Verhältnisse berücksichtigen. Hierzu zählen nicht nur die Änderungen hinsichtlich der Kinder, sondern ebenso solche, die den Status „alleinerziehend“ betreffen.
Einer zeitanteiligen Gewährung des Freibetrags im Jahr der Eheschließung steht insoweit nach Auffassung der höchstrichterlichen Meinung auch nicht entgegen, dass Verwitwete ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Entlastungsbetrags einbezogen werden. Verwitwete können das Splittingverfahren auch noch in dem Veranlagungszeitraum in Anspruch nehmen, der auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist. Sie befinden sich zugleich aber in der Situation eines echten Alleinerziehenden, d. h. leben in einer Erziehungsgemeinschaft, zu der nur ein Erwachsener gehört, und unterliegen mithin typischerweise den Belastungen, deren Ausgleich der Entlastungsbetrag dienen soll. Ihre Berücksichtigung ist daher folgerichtig und lässt nicht eindeutig den Schluss zu, dass der Gesetzgeber Steuerpflichtige, die der Ehegattenveranlagung unterliegen, aus dem Anwendungsbereich des Entlastungsbetrag für Alleinerziehende ausnehmen wollte.
Zu guter Letzt wirft der Bundesfinanzhof in seiner Urteilsbegründung auch noch einen Blick auf die Verfassung. Die vom Gericht zuvor als zutreffend angesehene Auslegung der Regelung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende vermeidet nämlich mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnisse.
Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) enthält einen besonderen Gleichheitssatz, der verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Insoweit untersagt die Regelung eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber ledigen Steuerpflichtigen, von Eltern gegenüber kinderlosen Steuerpflichtigen und von ehelichen gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften. Dieses Benachteiligungsverbot steht einer belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft anknüpft.
Die zeitanteilige Gewährung des Freibetrags für Alleinerziehende verhindert eine Benachteiligung von alleinerziehenden Steuerpflichtigen, die im Laufe eines Jahres mit dem späteren Ehepartner zusammenziehen und in diesem Jahr die Ehe eingehen. Sie dürfen steuerrechtlich nicht benachteiligt werden im Vergleich zu Steuerpflichtigen, die erst im darauffolgenden Jahr heiraten und die im Jahr des Zusammenziehens die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrags zweifelsfrei beanspruchen können.
Vor diesem Hintergrund gewährt aktuell der Bundesfinanzhof den beiden Klägern jeweils den Entlastungsbetrag für alleinerziehende Steuerpflichtige ungekürzt, da die Voraussetzungen hierfür in jedem Kalendermonat vorgelegen haben. Nach den Feststellungen des Finanzgerichtes lebten sowohl der Kläger als auch die Klägerin im Streitjahr bis zu ihrer Eheschließung im Dezember in einem eigenen Haushalt jeweils allein mit ihren die Erstausbildung absolvierenden Kindern.
Zusammengefasst könnte man daher die Entscheidung wie folgt auf den Punkt bringen: Steuerpflichtige, die als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, können den Entlastungsbetrag für alleinerziehende Steuerpflichtige im Jahr der Eheschließung zeitanteilig in Anspruch nehmen, sofern sie die übrigen Voraussetzungen der Regelung erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person leben.
Ebenfalls mit Entscheidung vom 28.10.2021 haben die obersten Finanzrichter der Republik unter dem Aktenzeichen III R 17/20 sich auch noch mit der Frage beschäftigt, ob der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende für einzeln veranlagte Ehegatte im Trennungsjahr gewährt werden kann. Auch hier kommen die Richter zu einer positiven Entscheidung: Steuerpflichtige, die als Ehegatten einzeln zur Einkommensteuer veranlagt werden, können den Entlastungsbetrag für alleinerziehende Steuerpflichtige im Jahr der Trennung zeitanteilig in Anspruch nehmen, sofern sie die Voraussetzungen des § 24b EStG erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen, in § 24b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG genannten Person leben.
Da die Urteilsbegründung in weiten Teilen der vorgenannten Entscheidung ähnelt und sich insoweit nur marginal unterscheidet, sei an dieser Stelle nicht weiter auf die Hintergründe eingegangen. Betroffenen kann jedoch ein Studium der Urteilsbegründung der Entscheidung durchaus nützlich sein.