Mit erstinstanzlicher Entscheidung des Finanzgerichtes München vom 17.9.2018 hat dieses unter dem Aktenzeichen 7 K 2805/17 die Meinung vertreten, dass eine Unrichtigkeit nur dann durch ein mechanisches Versehen entstanden und damit überhaupt erst im Sinne der Vorschrift zu den offenbaren Unrichtigkeiten nach § 129 der Abgabenordnung (AO) offenbar ist, wenn ein Fehler auf der Hand liegt, also durchschaubar, eindeutig oder sogar augenfällig ist.
Ganz konkret hat das Finanzgericht München in der vorgenannten Entscheidung die Meinung vertreten, dass es an diesen Voraussetzungen fehlt, wenn eine Einzahlung in die Kapitalrücklage nicht in der Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos eingetragen wurde, jedoch aus dem eingereichten Jahresabschluss nebst Erläuterungen eine Einzahlung in die Kapitalrücklage ersichtlich ist. Im Ergebnis haben die erstinstanzlichen Richter im vorliegenden Fall deshalb keine offenbare Unrichtigkeit erkannt, weil die Einzahlung teilweise in einer fremden Währung (vorliegend in Schweizer Franken) vorgenommen wurde und daher lediglich ihr zutreffender Wert nicht ohne weiteres erkennbar war. Dennoch war immerhin erkennbar, dass überhaupt eine Einzahlung stattgefunden hat.
Vor diesem Hintergrund (also, weil die Einzahlung an sich problemlos erkennbar war) entschied der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 8.12.2021 unter dem Aktenzeichen I R 47/18 daher auch gegen seine erstinstanzlichen Kollegen. Aufgrund der aktuellen Entscheidung gilt nun erfreulicherweise: Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage ausreicht, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlungen zu tatsächlicher Höhe des Einlagekontos erforderlich sind, schließt allein eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne der Vorschrift des § 129 Satz 1 AO nicht aus. Es kommt also nicht darauf an, ob man das richtige Ergebnis kennt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Fehler erkannt werden kann.
Zumindest in denjenigen Fällen, in denen die offenbare Unrichtigkeit auf der versehentlichen Nichtangabe eines Wertes in der Steuererklärung beruht, ist die Regelung der offenbaren Unrichtigkeiten bereits dann anwendbar, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist. Entsprechendes muss daher auch gelten, wenn nur die Angabe einer Endsumme mit null Euro erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist.
Die für Steuerpflichtige positive Auffassung der Richter des Bundesfinanzhofs wundert insgesamt nur wenig. Immerhin hat das Gericht bereits in einer Entscheidung vom 22.5.2019 unter dem Aktenzeichen XI R 9/18 klargestellt, dass ein Körperschaftsteuerbescheid offenbar unrichtig ist, wenn die Steuerpflichtige die Zeile 44a der Körperschaftssteuererklärung nicht ausgefüllt hat, obwohl sich aus den dem Finanzamt vorliegenden Steuerbescheinigungen und den weiteren Anlagen zur Körperschaftssteuererklärung ergibt, dass die Steuerpflichtige eine Gewinnausschüttung einer GmbH erhalten hat und das Finanzamt in der Anrechnungsverfügung zum Körperschaftsteuerbescheid die Kapitalertragsteuer auf die Körperschaftsteuer angerechnet hat. Auch wenn sich insoweit der Sachverhalt hinsichtlich des materiellen Steuerrechts unterscheidet, ist der Sachverhalt mit Blick auf die verfahrensrechtliche Änderung nach § 129 AO durchaus übertragbar.
In den Urteilsgründen zur aktuellen Entscheidung führt der Bundesfinanzhof dementsprechend die Grundsätze der Berichtigungsnorm des § 129 AO, also der offenbaren Unrichtigkeiten, wie folgt aus. Danach kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei einem berechtigten Interesse des Beteiligten ist sogar zu berichtigen.
Die Berichtigungsmöglichkeit setzt dabei grundsätzlich voraus, dass die offenbare Unrichtigkeit in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Dies hat bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 16.9.2015 unter dem Aktenzeichen IX R 37/14 deutlich herausgearbeitet.
Da die Unrichtigkeit aber nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt. So auch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 3.5.2017 unter dem Aktenzeichen X R 4/16 mit weiteren Nennungen in der Urteilsbegründung.
Offenbare Unrichtigkeiten sind folglich mechanische Versehen, wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. Die Regelung ist insoweit nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Dagegen ist die Berichtigungsmöglichkeit nicht von einer Verschuldensfrage anhängig, wie bereits der Bundesfinanzhof in einem früheren Urteil vom 7.11.2013 unter dem Aktenzeichen IV R 13/11 herausgearbeitet hat.
Ob hingegen im Ergebnis ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung aufgrund offenbarer Unrichtigkeit ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterworfen ist. So auch bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 3.8.2016 unter dem Aktenzeichen X R 20/15.
Auf Basis dieser Grundsätze kommt der Bundesfinanzhof aktuell zu dem erfreulichen Schluss, dass das erstinstanzliche Finanzgericht die Anwendbarkeit der offenbaren Unrichtigkeit zu Unrecht abgelehnt hat. Selbst wenn für das Finanzamt nicht augenscheinlich erkennbar war, welcher korrekte Wert sich für das steuerliche Einlagenkonto ergibt, so war zumindest deutlich erkennbar, dass ein Wert gegeben sein muss und dieser auch nicht null Euro betragen konnte. Dementsprechend liegt in solchen Sachverhalten eine offenbare Unrichtigkeit auf der Hand. Der Fehler selbst ist nämlich offensichtlich.
Vorgenannte Entscheidung ist insoweit für die Praxis von erheblicher Bedeutung, da entsprechende Erklärungsfehler bei der Feststellung der Höhe des steuerlichen Einlagekontos in der Vergangenheit leider allzu häufig vorgekommen sind. Dabei war der Ablauf des Fehlers regelmäßig ähnlich, weil in der Erklärung entweder kein Wert beim steuerlichen Einlagekonto angegeben wurde oder aber dieser mit null Euro angegeben wurde. Tatsächlich konnte jedoch aus dem Jahresabschluss deutlich ersehen werden, dass sehr wohl eine Kapitalrücklage gegeben war. In solchen Fällen sollte dem Tenor der Entscheidung folgend auch jetzt noch versucht werden, die Höhe des steuerlichen Einlagekontos korrekt festzustellen.