Das erstinstanzliche Finanzgericht Baden-Württemberg hat in seiner Entscheidung vom 5.2.2018 unter dem Aktenzeichen 10 K 3153/16 entschieden, dass gegen den Ansatz einer zumutbaren Belastung, wie sie in der gesetzlichen Regelung in § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorgesehen ist, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. So die Meinung der Erstinstanzler.
Dabei beziehen sich die erstinstanzlichen Richter auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2.9.2015 unter dem Aktenzeichen VI R 32/13. Darin hatten die obersten Finanzrichter der Republik bereits entschieden, dass es von Verfassung wegen nicht geboten ist, bei der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Krankheitskosten auf den Ansatz der zumutbaren Belastung zu verzichten. Eine Überprüfung dieser Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht hat es jedoch seinerzeit nicht gegeben. Zwar wurde die Streitfrage auch dem Bundesverfassungsgericht mittels einer Verfassungsbeschwerde vorgelegt, jedoch wurde diese durch Beschluss vom 23.11.2016 unter dem Aktenzeichen 2 BvR 180/16 nicht angenommen. In der Sache hat sich daher damals das Bundesverfassungsgericht nicht mit der Thematik beschäftigt. Nun könnte es jedoch eine neue Gelegenheit bekommen, diese Frage zu klären.
Der Grund: Mit Beschluss vom 1.9.2021 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VI R 18/19 die Anwendung der zumutbaren Belastung auf sogenannte beihilfefähige Aufwendungen im Krankheitsfall als verfassungsgemäß eingestuft.
Danach gilt im Wesentlichen folgendes: Zunächst zur Definition der außergewöhnlichen Belastungen an sich. Erwachsen Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so spricht man von außergewöhnlichen Belastungen. Diese ermäßigen entsprechend der Regelung in § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer, in dem der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung entsprechend der Regelung in § 33 Abs. 3 EStG übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Tatsächlich geht der Bundesfinanzhof bereits in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten (vollkommen unabhängig und ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung) dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen immer zwangsläufig entstehen und somit zu den außergewöhnlichen Belastungen gehören. Dennoch sind auch diese Aufwendungen nur insoweit abziehbar, als sie den Betrag der zumutbaren Belastung, welche sich entsprechend der Regelung in § 33 Abs. 3 EStG ermittelt, überschreiten.
Dabei vertritt das Gericht die Auffassung, dass der Ansatz der zumutbaren Belastung auch bei Krankheitskosten, die beim beihilfeberechtigten Arbeitnehmer beihilfefähig gewesen wären, von Verfassung wegen hinzunehmen sind. Insoweit gebietet der allgemeine Gleichheitssatz nämlich dem Gesetzgeber, dass wesentlich gleiches auch gleich und wesentlich ungleiches ungleich zu behandeln ist.
Der allgemeine Gleichheitssatz ist bereits spezifisch anzuwenden. Dementsprechend hat der Gesetzgeber im Bereich des Steuerrechts bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, die das Gesetz an dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, ist im Bereich des Einkommensteuerrechts durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast und dem Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern, während die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen grundsätzlich immer eines besonderen sachlichen Grundes.
Vor diesem Hintergrund und auf diesen Grundsätzen kommt der Bundesfinanzhof in seiner vorgenannten Entscheidung zu dem Schluss, dass die zumutbare Belastung bei allen Steuerpflichtigen in gleicher Weise zu berücksichtigen ist.
Soweit der Kläger argumentiert, er selbst stünde hinsichtlich seiner beihilfefähigen Aufwendungen bei Anwendung der zumutbaren Belastung schlechter als ein Beamter, weil er sie aus zu versteuerndem Einkommen zu zahlen habe, ergibt sich dies nicht aus einer steuerlichen Belastungsentscheidung des Gesetzgebers. Ein Beamter erhält aufgrund der beihilferechtlichen Bestimmungen zum Teil höhere Aufwendungen für ärztliche Leistungen erstattet, als einem in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Steuerpflichtigen für diese Leistungen nach dem Sachleistungsprinzip zustehen. Trägt ein gesetzlich versicherter Steuerpflichtiger bestimmte Aufwendungen selbst, so ist dies eine Entscheidung des Gesetzgebers hinsichtlich des Umfangs der Sachleistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Wenn nun der Kläger vorträgt, die zumutbare Belastung müsse um beihilfefähige Aufwendungen herabgesetzt werden, begehrt er im Grunde eine zumindest mittelbare Kostenbeteiligung über die Steuer. Es gibt indes im Steuerrecht einschließlich der Regelungen über die außergewöhnlichen Belastungen keinen Grundsatz, der besagt, dass in anderen Rechtsgebieten getroffene Be- oder Entlastungsentscheidungen steuerrechtlich durch eine entsprechende Be- oder Entlastung auszugleichen sind. Auch ist der Gesetzgeber nicht im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes verpflichtet, die streitigen Krankheitskosten von der Besteuerung freizustellen. Im Übrigen begründet die Regelung in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Falle einer Steuervergünstigung für eine Gruppe keinen Anspruch einer anderen Gruppe auf eine vergleichbare steuerliche Entlastung. Dies ist bereits dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 15.9.2011 unter dem Aktenzeichen VI R 6/09 zu entnehmen.
Mit dieser Argumentation kommt der Bundesfinanzhof schließlich zu dem Schluss: Der Ansatz der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG bei sogenannten beihilfefähigen Krankheitskosten benachteiligt Steuerpflichtige ohne Beihilfeanspruch nicht in verfassungswidriger Weise gegenüber Beihilfeberechtigten Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Auch diesmal ist damit jedoch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn gegen die Entscheidung des Bundesfinanzhofs wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt. Insoweit werden noch die Verfassungsrichter in Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1579/22 über die grundgesetzliche Einordnung der zumutbaren Belastung auf sogenannte beihilfefähige Aufwendungen zu entscheiden haben. Betroffene sollten entsprechende Verfahren und Bescheide offenhalten.