3. Für alle Steuerpflichtigen: Zur Unterbrechung der Verjährung eines Anspruchs

Mit Entscheidung vom 23.8.2022 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VII R 46/20 klargestellt, dass die Verjährung eines Anspruchs nur dann entsprechend der Regelung in § 231 der Abgabenordnung (AO) unterbrochen werden kann, wenn die Verjährungsfrist bereits in Gang gesetzt worden ist und noch läuft. Diesem Grundsatz folgend unterbricht eine Pfändung, die vor Beginn der Verjährung entsprechend § 229 Absatz 1 Satz 1 AO vorgenommen worden ist, die Verjährung nicht.
Der Bundesfinanzhof begründet seine Entscheidung, die durchaus auch für andere Fälle von praktischer Bedeutung sein kann, wie folgt.
So führen die obersten Finanzrichter der Republik aus, dass der Haftungsanspruch gemäß § 37 Abs. 1 AO zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehört und gemäß § 228 Satz 2 AO nach fünf Jahren verjährt.
Die Zahlungsverjährung beginnt hingegen mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, wie § 229 Abs. 1 Satz 1 AO zu entnehmen ist. Ist ein Haftungsbescheid hingegen ohne Zahlungsforderung ergangen, so beginnt die Verjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Haftungsbescheid wirksam geworden ist, wie entsprechend der weitergehenden Vorschrift in § 229 Abs. 2 gesehen werden kann.
Durch die Verjährung erlöschen der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und die von ihm abhängenden Zinsen.
Die Verjährung eines Anspruchs wird gemäß § 231 Abs. 1 AO durch die dort genannten Maßnahmen unterbrochen, entweder punktuell oder aber für die dort bestimmt Dauer (§ 32 Abs. 2 AO). Unterbrochen im Sinne des Abs. 1 bedeutet dabei, dass der nach § 229 Absatz 1 Satz 1 AO in Gang gesetzte Fristablauf abgebrochen wird und mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterbrechung endet, eine neue Verjährungsfrist beginnt. Die bereits verstrichene Zeit bleibt somit unberücksichtigt.
Zu unterscheiden ist die Unterbrechung einer Frist von ihrer Hemmung. Die Hemmung bewirkt nämlich nur einen Stillstand des Fristlaufs. Im Fall der Anlaufhemmung wird der Beginn der Verjährungsfrist auf einen späteren Zeitpunkt hinausgeschoben. Im Fall der Ablaufhemmung wird der planmäßige Eintritt der Verjährung hinausgeschoben.
Für die Zahlungsverjährung ist eine Anlaufhemmung in § 229 Absatz 1 Satz 2 AO geregelt, demzufolge der Beginn der Verjährungsfrist in den dort genannten Fällen hinausgeschoben wird.
Eine Ablaufhemmung enthält § 230 AO. Nach dieser Regelung ist die Zahlungsverjährung gehemmt, solange der Anspruch wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist nicht verfolgt werden kann. Hemmung bedeutet hier, dass der Zeitraum, während dessen die Hemmung besteht, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird, dass aber nach dem Wegfall der Hemmung die bereits begonnene „alte“ Verjährungsfrist weiterläuft.
Schon aus den Begriff der Unterbrechung und der Systematik der § § 228 ff. AO folgt somit, dass eine Verjährungsfrist nur dann unterbrochen werden kann, wenn sie bereits in Gang gesetzt worden ist und noch läuft. Mithin kann die Verjährung eines Anspruchs auch nur durch ein Ereignis unterbrochen werden, das nach dem Beginn der Verjährungsfrist eingetreten ist.
Dies hat die oberste Rechtsprechung in Bezug auf § 147 der Reichsabgabenordnung (RAO) bereits entschieden. Das gilt aber aufgrund der dargelegten Systematik in der AO und der rechtssystematischen Unterscheidung zwischen der Unterbrechung und der Hemmung einer Frist ebenso für § 231 AO. Diese Ansicht wird nicht nur an zahlreichen Stellen in der einschlägigen Literatur vertreten, sondern auch das Finanzgericht Hamburg hat bereits in einer Entscheidung vom 25.10.1989 unter dem Aktenzeichen II 117/86 diese Auffassung vertreten.
Zudem entspricht dies im Übrigen auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Begriff der Unterbrechung der Verjährung in § 217 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bzw. den diesen ersetzen Begriff des Neubeginns der Verjährung in § 212 BGB. Danach setzt ein Neubeginn der Verjährung denknotwendig voraus, dass die Verjährung schon in Gang gesetzt worden ist, und kann damit frühestens ab dem eigentlichen Verjährungsbeginn einsetzen. So konkret zu entnehmen beispielsweise dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8.1.2013 unter dem Aktenzeichen VIII ZR 344/12.
Der Sinn und Zweck der Regelungen zur Hemmung und zur Unterbrechung der Verjährung erschließt sich aus dem allgemeinen Sinn und Zweck der Regelverjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche. Diese dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Sie ist eine durch die Zweckmäßigkeit gebotene Einrichtung, denn sie zwingt den Gläubiger, seine Ansprüche zügig geltend zu machen.
Damit berücksichtigen die Verjährungsvorschriften einerseits, dass die Beweisbarkeit von Ansprüchen oder auch ihre Abweisung umso schwieriger wird, je älter die Ansprüche werden. Sie haben aber zudem auch die Aufgabe, einen gegenwärtigen zeitnahen Steuervollzug zu gewährleisten.
Für den Steuerpflichtigen bedeuten sie andererseits, dass er nach Eintritt der Verjährung nicht mehr damit zu rechnen braucht, für die betreffenden Steuern in Anspruch genommen zu werden. In diesem Sinne soll das Institut der Zahlungsverjährung dafür sorgen, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehrt, was der Steuerpflichtige aufgrund der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugssteuern noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist.
Die Verjährungsfristen schaffen somit einen Ausgleich zwischen Fiskalinteresse und Rechtssicherheit, wie insbesondere auch in der einschlägigen Literatur erklärt wird.
Vor diesem Hintergrund sind die Bestimmungen zu Hemmung und zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung als Ausnahmeregelung zu verstehen. Sie öffnen dem Fiskus die Möglichkeit, über die Frist der fünfjährigen Regelverjährung hinaus den staatlichen Steueranspruch durchzusetzen. Das Bedürfnis der Steuerpflichtigen nach Rechtssicherheit muss im gesetzlich geregelten Umfang hinter dem Fiskalinteresse zurücktreten.
Daraus folgt, dass die Regelverjährung nur in den Fällen gehemmt oder unterbrochen wird, die ausdrücklich im Gesetz geregelt sind. Das Gesetz enthält insbesondere in § 231 AO eine abschließende Aufzählung der Unterbrechungstatbestände, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 21.12.2021 unter dem Aktenzeichen VII R 21/19 verdeutlicht hat. Diese Auffassung ist dabei nicht neu, denn ebenso hat der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 26.4.1999 unter dem Aktenzeichen V R 90/87 die vorgenannte Auffassung der abschließenden Aufzählung vertreten.
Das alles schließt eine extensive Auslegung des § 231 AO zur Erfassung einer Sachpfändung, die im Rahmen eines Arrestverfahrens bereits vor Fälligkeit der Hauptschuld vorgenommen worden ist, aus. Denn eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Regelung zur Verjährungsunterbrechung würde den gesetzlich vorgesehenen Ausgleich zwischen Fiskalinteresse und Rechtssicherheit durchbrechen.