Vor Jahrzehnten war die Grunderwerbsteuer einmal eine kaum beachtete Nebenleistung bei der Anschaffung einer Immobilie. Der Grund dafür war relativ einfach: Die Grunderwerbsteuer war eher gering. Tatsächlich ist in § 11 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) immer noch ein Steuersatz von 3,5 % hinterlegt. Allerdings können die einzelnen Bundesländer mittlerweile ihre Grunderwerbsteuergesetze selbst bestimmen, da die Grunderwerbsteuer ihnen auch zusteht. In der Spitze berechnen daher Bundesländer bis zu 6,5 % Grunderwerbsteuer, was beim Immobilienerwerb zu einer erheblichen Belastung wird. Insoweit lohnt auch ein genauer Blick, was alles unter die Grunderwerbsteuer fällt. Dies ist nichts anderes als die Frage nach der Bemessungsgrundlage.
Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 8 Absatz 1 GrEStG bemisst sich die Grunderwerbsteuer grundsätzlich nach dem Wert der Gegenleistung. Was zur Gegenleistung gehört, bestimmt sich dabei insbesondere nach § 9 GrEStG. Diese Regelung enthält eine Legaldefinition des Begriffs und zielt darauf ab, die Gegenleistung so umfassend wie möglich zu erfassen. Dem Grunderwerbsteuergesetz liegt dabei ein eigenständiger, über das bürgerlich-rechtliche Verständnis hinausgehender Begriff der Gegenleistung zugrunde, wie schon der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 16.2.1977 unter dem Aktenzeichen II R 89/74 klarstellte.
Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 9 Abs. 1 Nummer 1 GrEStG gilt als Gegenleistung bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistung und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen. Nutzungen sind dabei gemäß § 100 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unter anderem die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechtes gewährt. Sie gebühren von der Übergabe der Sache an dem Käufer. Der Verkäufer ist grundsätzlich verpflichtet, eine Sache frei von Rechtsmängeln zu übergeben. So die grundsätzliche Regelung in § 433 Abs. 1 und § 435 BGB. Wird die Norm vertraglich abbedungen, belässt der Grundstückskäufer also die Nutzungen dem Verkäufer (oder einem Dritten) über diesen Zeitpunkt hinaus, liegt darin ein geldwerter Vorteil, den der Käufer für den Erwerb der Sache gibt. Dies allein rechtfertigt die Einbeziehung der vom Käufer bzw. einem Dritten vorbehalten Nutzungen in die Gegenleistung. Im Ergebnis wurde dies in diesem Sinne auch bereits so durch den Bundesfinanzhof mit Urteil vom 6.12.1989 unter dem Aktenzeichen II R 95/86 entschieden. Für die vorbehaltenen Nutzungen ist dabei die Regelung des § 9 Abs. 1 Nummer 1 GrEStG gegenüber der Regelung des § 9 Abs. 2 Nummer 1 GrEStG vorrangig. Erfasst sind Nutzungen aller Art, namentlich insbesondere Nießbrauchs- und Wohnungsrechte. Sie können entweder neu begründet werden oder bereits bestehen. Unerheblich ist insoweit auch, wenn diese gegenüber einem Dritten eingeräumt werden, wie ebenfalls bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 17.9.1975 unter dem Aktenzeichen II R 5/70 herausgearbeitet hat.
Wenn jedoch der Grundstücksverkäufer die vorbehaltenen Nutzungen angemessen vergütet, liegt in der Nutzungsüberlassung keine Gegenleistung für das Grundstück. Auf dieser Linie ist auch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 6.12.2017 unter dem Aktenzeichen II R 55/15.
Für die Bestimmung der Gegenleistung ist es nicht maßgeblich, was die Vertragsschließenden als Gegenleistung für das Grundstück bezeichnen, sondern zu welchen Leistungen sie sich tatsächlich verpflichtet haben. Auch dies hat bereits der oberste Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 8.9.2010 unter dem Aktenzeichen II R 28/09 festgelegt. Ob sich der Verkäufer Nutzungen ohne angemessenes Entgelt vorbehalten hat, ist durch Auslegung des Kaufvertrags zu ermitteln.
Auf Basis dieser Grundsätze hat das erstinstanzliche Finanzgericht Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 8.7.2022 unter dem Aktenzeichen 5 K 2500/21 insoweit folgenden Leitsatz aufgestellt: Bleibt mit Zustimmung des Käufers ein schuldrechtlich bereits bestehendes und kurz nach dem Abschluss des Kaufvertrags auch dinglich gesichertes lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsrecht zugunsten eines Dritten bestehen, macht der Käufer von seinem Recht auf eine rechtsmängelfreie Übertragung keinen Gebrauch und wird auch keine Vergütung für das vorbehaltene Wohnungsrecht geleistet, so ist das Wohnungsrecht entsprechend der gesetzlichen Vorschrift in § 9 Abs. 1 Nummer 1 GrEStG in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einzubeziehen.
Auch wenn die erstinstanzliche Entscheidung aus Baden-Württemberg durchaus schlüssig erscheint, ist gegen das Urteil die Revision beim Bundesfinanzhof zugelassen worden. Die Revisionszulassung fußt dabei auf einem bereits anhängigen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen II R 5/22. Darin gilt es die Rechtsfrage zu klären, ob der Wert eines Nießbrauchsrechts bei der Veräußerung eines Erbbaurechts als Gegenleistung in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einzubeziehen ist, wenn der Nießbrauch bereits wirksam bestellt war und die Eintragung von dem Grundstückseigentümer und dem bisherigen Erbbauberechtigten (ohne Beteiligung des Erbbaurechtserwerbers) bewilligt und beantragt wurde. Zudem geht es in dem vorgenannten Verfahren darum, ob es entscheidungserheblich ist, dass der Nießbrauch während des gesamten Erbbaurechtszeitraums besteht.
Vor diesem Hintergrund ist auch gegen die Entscheidung aus Baden-Württemberg die Revision eingelegt worden. Das Aktenzeichen beim Bundesfinanzhof lautet II R 32/22.