3. Für alle Steuerpflichtigen: Bewertungsabschlag bei Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück bei Erbschaften und Schenkungen

Entsprechend der Vorschrift in § 12 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in Verbindung mit der Regelung des § 151 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) sind Grundbesitzwerte gesondert festzustellen, wenn die Werte für die Erbschaftsteuer oder die Schenkungsteuer von Bedeutung sind. Gegenstand der Bewertung sind dabei die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens. Jede wirtschaftliche Einheit ist für sich zu bewerten. Bei der Bewertung von Grundbesitz für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer wird die wirtschaftliche Einheit vom Gegenstand des Erwerbs vorgegeben. Die Bestimmung des Erwerbsgegenstands erfolgt nach erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Grundsätzen, die an das Zivilrecht anknüpfen. Wurde daher ein Miteigentumsanteil an einem Grundstück freigebig zugewendet, also geschenkt, bildet grundsätzlich der Anteil selbst die wirtschaftliche Einheit, es sei denn, er zerfällt in mehrere wirtschaftliche Einheiten. So auch bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 26.8.2020 unter dem Aktenzeichen II R 43/18. Darin haben die obersten Richter der Republik klargestellt, dass, wenn auf einem Grundstück mehrere Wohnungs- oder Teilerbbaurechte lasten, die wirtschaftliche Einheit des Erbbaugrundstücks nach der Verkehrsauffassung in eine entsprechende Anzahl wirtschaftliche Einheiten zerfällt. Mit jedem Wohnungs- oder Teilerbbaurecht korrespondiert eine wirtschaftliche Einheit in Gestalt des anteiligen Erbbaugrundstücks.
Nichts anderes gilt, wenn ein Miteigentumsanteil an einem Grundstück im Vermächtniswege erworben wird. Wird von vornherein nur dieser Miteigentumsanteil und nicht das Volleigentum an einem Grundstück erworben, kann sich die Frage einer über diesen Anteil hinausgreifenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne des Bewertungsgesetzes nicht stellen. Allenfalls könnte man den Sachverhalt dahingehend prüfen, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass nach insoweit maßgeblichen Anschauungen des Verkehrs nicht der hälftige Miteigentumsanteil selbst, sondern eine noch kleinere Einheit als wirtschaftliche Einheit gilt.
Gemäß der Regelung des § 198 Absatz 1 BewG kann der Steuerpflichtige einen niedrigeren gemeinen Wert nachweisen. Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179,182 bis 196 BewG ermittelte Wert, so ist der niedrigere nachgewiesene Wert anzusetzen. Auch bei der Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück, das nicht mit Wohnungs- oder Teileigentum verbunden ist, steht dem Steuerpflichtigen der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes für diesen Miteigentumsanteil entsprechend der vorgenannten gesetzlichen Regelung zu. Dieser Nachweis beschränkt sich nicht auf einen niedrigeren gemeinen Wert des Volleigentums, sondern kann darüber hinaus dahingehend geführt werden, dass der Wert des Miteigentumsanteils niedriger ist als der entsprechende rechnerische Bruchteil des Werts des Volleigentums.
Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 198 Satz 1 BewG, welcher auf den gemeinen Wert der wirtschaftlichen Einheit als solcher abstellt. Unter der im Streitfall erfüllten Prämisse, dass der Miteigentumsanteil am Grundstück selbst die zu bewertende wirtschaftliche Einheit ist, eröffnet der Wortlaut der Norm die Möglichkeit, unmittelbar für diesen Miteigentumsanteil einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Es ist gerade nicht vorgesehen, dass bei Miteigentumsanteilen nur ein mittelbarer Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts dergestalt zulässig wäre, dass sich dieser Nachweis primär auf das Volleigentum am Grundstück beziehen muss und dieser Wert dann rechnerisch entsprechend der Miteigentumsquote (ohne weitere Möglichkeit eines Abschlags) auf den entsprechenden Miteigentumsanteil zu übertragen wäre.
Auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist ein niedrigerer gemeiner Wert für den Miteigentumsanteil am Grundstück als solcher nachweisbar. Nach der Gesetzesbegründung zu § 198 BewG entsprechend der Bundestagsdrucksache 16/11107 sollte der Steuerpflichtige durch diese Norm die Möglichkeit erhalten, sämtliche wertbeeinflussende Umstände bei der Ermittlung des gemeinen Werts geltend zu machen. Hierzu gehören nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch die den Wert beeinflussenden Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art, wie zum Beispiel Grunddienstbarkeiten und persönliche Nutzungsrechte. Das muss erst recht gelten für einen rechtlichen Umstand, der der wirtschaftlichen Einheit prägend innewohnt und sie nicht lediglich als von außen kommend belastet, nämlich, dass es sich nicht um Volleigentum, sondern um Miteigentum handelt. Sofern es nach den gemäß § 198 Satz 2 BewG in Verbindung mit § 199 Satz 2 Baugesetzbuch erlassenen Vorschriften, insbesondere nach der Immobilienwert-Verordnung, rechtlich zulässig ist, diesen Umstand als wertbeeinflussend zu berücksichtigen und er dementsprechend Eingang in ein auch im Übrigen ordnungsgemäßes Sachverständigengutachten gefunden hat, muss der so ermittelte Wert nach § 198 Satz 1 BewG von der Finanzverwaltung angesetzt werden.
Die Norm des § 3 BewG, wonach im Falle, dass ein Wirtschaftsgut mehreren Personen zusteht, zunächst ein Wert im Ganzen zu ermitteln ist und dann entsprechend dem Verhältnis der Anteile zu verteilen ist, steht der grundsätzlichen Möglichkeit des Steuerpflichtigen, einen niedrigeren gemeinen Wert des Miteigentumsanteils nachzuweisen, nicht entgegen. Die Norm schreibt für die Fälle des § 198 BewG gerade nicht vor, dass nur der nachgewiesene niedrigere gemeine Wert des Volleigentums am Grundstück maßgeblich sei, der dann in einem zweiten Schritt statisch und ohne die Möglichkeit weiterer Abschläge auf die Miteigentümer nach dem rechnerischen Verhältnis ihrer Anteile zu verteilen wäre. Es handelt sich bei § 3 BewG um eine allgemeine Bewertungsvorschrift für die Wertermittlung bei mehreren Beteiligten, die nicht gilt, soweit im zweiten Teil des Bewertungsgesetzes, wie eben hier in § 198 BewG, besondere Bewertungsvorschriften enthalten sind. Der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts eröffnet dem Steuerpflichtigen aus verfassungsrechtlichen Gründen die Möglichkeit, von den im Bewertungsgesetz vorgesehenen typisierenden Wertermittlungsverfahren abzuweichen und ist auch aus diesem Grund eine vorrangige Spezialvorschrift. Der Vereinfachungsfunktion, die § 3 BewG im Rahmen der typisierenden Wertermittlungsverfahren des Bewertungsgesetzes erfüllt, bedarf es bei der Nachweisführung, die auf die spezifischen wertbeeinflussenden Umstände des konkreten Bewertungsgegenstandes abzielt, nicht.
Vor diesem Hintergrund kommt erfreulicherweise das Finanzgericht Münster in seiner Entscheidung vom 24.11.2022 unter dem Aktenzeichen 3 K 1201/21 F zu dem Schluss, dass bei der Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück für Zwecke der Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer der Nachweis zulässig ist, dass der Miteigentumsanteil an dem Grundstück weniger wert ist, als es dem rechnerischen Anteil am gemeinen Wert des Grundstücks entspricht. Mit anderen Worten, es kann also ein sogenannter Marktanpassungsabschlag vorgenommen werden.

Aus Gründen der Fortbildung des Rechtes musste das erstinstanzliche Finanzgericht Münster die Revision zum Bundesfinanzhof zulassen. Tatsächlich hat der Bundesfinanzhof unter der Geltung der aktuellen Fassung der Norm des § 198 BewG noch nicht über die Frage entschieden, ob der Nachweis generell zulässig ist, dass ein Miteigentumsanteil an einem Grundstück weniger wert sein kann, als es dem rechnerischen Anteil am gemeinen Wert des Grundstücks entspricht.

Zu Redaktionsschluss war nicht bekannt, ob die Finanzverwaltung tatsächlich den Revisionszug bestiegen hat. Sofern daher die Entscheidung endgültig wird, sollte in entsprechenden Fällen immer versucht werden, einen Marktanpassungsabschlag durchzusetzen. Falls der Fiskus die Revision einlegt, sollten Betroffene sich an das dann vorhandene Musterverfahren anhängen.