1. Für alle Steuerpflichtigen: Erbschaftsteuer (schon wieder) verfassungswidrig?

Mit Beschluss vom 17.1.2022 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen II B 49/21 die Besteuerung von Erbschaften des Privatvermögens für verfassungsgemäß eingestuft. Ganz klar äußerten sich die Richter in ihren Leitsätzen wie folgt: Die Erbschaftsbesteuerung des Privatvermögens ist nicht deshalb verfassungswidrig, weil in demselben Zeitraum eine erbschaftsteuerrechtliche Überbegünstigung des Betriebsvermögens zu verzeichnen wäre. Selbst wenn die begünstigte Besteuerung des Betriebsvermögens nach dem Recht der Europäischen Union eine rechtswidrige staatliche Beihilfe darstellen sollte, berühre dies nicht die nationale Besteuerung des erbschaftsteuerlichen Erwerbs von Privatvermögen.

Gegen diesen Beschluss des obersten deutschen Finanzgerichtes ist mittlerweile unter dem Aktenzeichen 1 BvR 804/22 die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingegangen. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich dabei nicht nur gegen den Beschluss des Bundesfinanzhofs, sondern auch mittelbar gegen das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz und dessen Konformität mit dem deutschen Grundgesetz.

Zunächst zum Hintergrund der Entscheidung: Der Beschwerdeführer wurde als testamentarischer Alleinerbe nach seiner im Jahre 2018 verstorbenen Tante zur Erbschaftsteuer mit Einspruchsentscheidung des Finanzamts veranlagt. In der Klage gegen den Erbschaftsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung wendete sich der Beschwerdeführer zuletzt gegen die Berücksichtigung eines Wertpapierdepots sowie eines Einkommensteuererstattungsanspruchs als steuerpflichtigen Erwerb und gegen die unterbliebene steuermindernde Berücksichtigung einer Darlehensschuld der Erblasserin. Weiterhin vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, dass die Erbschaftsteuer auf Privatvermögen verfassungswidrig ist, weil Betriebsvermögen im Vergleich dazu bei der Erbschaftsteuer übermäßig begünstigt wird.

Ob an diesem Vorwurf tatsächlich etwas dran ist, ist auch Gegenstand der Stellungnahme Nummer 18 der Bundesrechtsanwaltskammer aus März 2023. Auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe hat sich die Bundesrechtsanwaltskammer mit der Thematik beschäftigt und eine entsprechende Stellungnahme entworfen. Diese kann zur Gänze auch hier auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer eingesehen werden (PDF).

Die Bundesrechtsanwaltskammer kommt darin zu dem Schluss, dass die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet ist. Sowohl die Entscheidung des Finanzgerichts Münster als auch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Entscheidung ist nach Meinung der Berufskammer aufzuheben und die Sache an den Bundesfinanzhof zurückzuweisen. So bekommen die obersten Finanzrichter der Republik Gelegenheit, ihre Auffassung zur Zulassung der Revision sowie im Rahmen der Revision ihre Auffassung zur Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes zu überprüfen.

Tatsächlich macht der Beschwerdeführer nach Einschätzung der Rechtsanwaltskammer erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an dem Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz geltend, die von der Bundesrechtsanwaltskammer auch ausdrücklich, allerdings auch nur teilweise geteilt werden.

Die Bundesrechtsanwaltskammer sieht insbesondere in der Regelung zur Steuerbefreiung von Betriebsvermögen eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Die Regelung begünstigt unverhältnismäßig Betriebe mit hohem Betriebsvermögen und benachteiligt Betriebe mit geringerem Betriebsvermögen. Die Bundesrechtsanwaltskammer empfiehlt daher eine Überarbeitung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen.

Es bleibt natürlich abzuwarten, wie der Gesetzgeber und auch das Bundesverfassungsgericht auf diese Empfehlung reagieren werden. Insgesamt kommt die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme zu dem Schluss, dass das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz in seiner jetzigen Form verfassungsrechtlich bedenklich ist und einer Überarbeitung bedarf. Die Verfassungsbeschwerde wird als zulässig und begründet angesehen und es wird empfohlen, die Entscheidungen des Finanzgerichts Münster und des Bundesfinanzhofs aufzuheben.