2. Für alle Steuerpflichtigen: Umzugskosten als Werbungskosten auch ohne Fahrzeitersparnis?

Abzugsfähige Werbungskosten sind für den Bereich der nicht selbstständigen Arbeit Aufwendungen, die durch den Beruf veranlasst sind, das heißt es muss ein objektiver Zusammenhang zwischen ihnen und dem Beruf bestehen und sie müssen subjektiv zur Förderung des Berufs bestimmt sein. Ob sie nach objektiven Gesichtspunkten üblich, notwendig oder zweckmäßig sind, ist für die Abziehbarkeit der Aufwendungen als Werbungskosten grundsätzlich vollkommen ohne Belang, wie bereits der Große Senat des Bundesfinanzhofs am 27.11.1978 unter dem Aktenzeichen GrS 8/77 richtungsweisend festgestellt hat. Bei Aufwendungen, die ebenso gut privater Natur sein können, kann hingegen das Fehlen der Üblichkeit, Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit ein Anzeichen dafür sein, dass die Aufwendungen aus privaten Gründen getätigt wurden.

Das Bewohnen einer Wohnung am Lebensmittelpunkt eines Steuerpflichtigen und seiner Familie ist dem privaten Lebensbereich zuzuordnen. Daher sind Aufwendungen für einen Umzug grundsätzlich steuerlich nicht abziehbar. Es handelt sich um Kosten der allgemeinen Lebensführung. Davon gibt es aber eine Ausnahme. Umzugskosten können als Werbungskosten abzugsfähig sein, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. So muss der Umzug nahezu ausschließlich beruflich veranlasst sein. Private Gründe dürfen allenfalls eine ganz untergeordnete Rolle spielen.

Eine derartige berufliche Veranlassung hat der Bundesfinanzhof beispielsweise bereits anerkannt, wenn der Umzug aus Anlass eines Arbeitsplatzwechsels erfolgen musste oder wenn durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auch ohne einen Arbeitsplatzwechsel wesentlich vermindert worden ist. Als wesentliche Verkürzung der Wegzeit hat der Bundesfinanzhof dabei eine Ersparnis von mindestens einer Stunde täglich angesehen. So der Beschluss vom 11.9.1998 unter dem Aktenzeichen VI B 208/98.

Das Abstellen auf eine Fahrzeitersparnis von mindestens einer Stunde zielt einerseits darauf ab, einen solchen Umzug zumindest ähnlich wie einen Umzug anlässlich eines Arbeitsplatzwechsels zu behandeln. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass eine einstündige Fahrzeitersparnis nach der Lebenserfahrung für viele Arbeitnehmer so bedeutsam ist, dass sie einen Umzug näher an den Arbeitsplatz ernsthaft in Erwägung ziehen. Dem Gesichtspunkt der mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis kann deshalb ein solches Gewicht beigemessen werden, dass private Erwägungen generell in den Hintergrund treten.

Zum anderen enthält das Erfordernis einer mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis eine die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung. Der damit verbundene Zweck der Vereinfachung und Praktikabilität in der Rechtsanwendung ist beeinträchtigt, wenn private Motive beim ansonsten typischerweise beruflich veranlassten Umzug wieder Bedeutung erlangen. Auf diese Weise wird überdies ein nicht gebotenes Eindringen in die Privatsphäre des Steuerpflichtigen vermieden. Indem der Gesetzgeber Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. der ersten Tätigkeitsstätte als Werbungskosten zum Abzug zulässt, gibt er zu erkennen, dass er solche Fahrten dem beruflichen Bereich des Arbeitnehmers zuordnet. Aufwendungen des Steuerpflichtigen wegen eines Umzugs, der zu einer wesentlichen Verkürzung solcher Fahrstrecken führen soll, sind daher beruflich veranlasst, weil sie zu einer entsprechenden Verbesserung dieser Arbeitsbedingungen führen. Dass sich dies in der Regel mittelbar auf eine Verlängerung der Freizeit auswirkt, ist steuerrechtlich unschädlich, da hierdurch die berufliche Kausalität nicht beeinträchtigt wird, wie der Bundesfinanzhof schon in einer Entscheidung vom 6.11.1985 unter dem Aktenzeichen VI R 106/85 herausgearbeitet hat.

Das Merkmal der Zeitersparnis kann in seinem Gewicht bei der Abwägung der beruflichen und privaten Gründe deutlich vermindert sein, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Arbeitsplatz vergleichsweise selten aufsucht. Entscheidend ist, ob das Finanzgericht aus den Gesamtumständen des Streitfalls zu der Überzeugung gelangt, dass die beruflichen Gründe das auslösende Moment für den Umzug gewesen sind. Dies hat bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 7.5.2015 unter dem Aktenzeichen VI R 73/13 herausgearbeitet.

Eine rein berufliche Veranlassung ist auch angenommen worden, wenn der Umzug zu einer wesentlichen Erleichterung oder Verbesserung der Arbeitsbedingungen geführt hat. Bisher ist dies angenommen worden bei einer Erreichbarkeit der Arbeitsstätte ohne Verkehrsmittel nach dem Umzug. Auch bei einer Verkürzung des Arbeitsweg von 9 km auf 1 km, wenn der Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte aufgrund des Dienstherrn häufig mehrmals am selben Tag zurückzulegen war, hat der Bundesfinanzhof eine wesentliche Erleichterung der Arbeitsbedingungen angenommen. Eine solche wesentliche Erleichterung nahm die Rechtsprechung auch bei einem Arzt an, der in die Nähe der Klinik zog, in der er Belegbetten unterhielt. Das Finanzgericht Köln hat zudem mit Urteil vom 24.2.2016 unter dem Aktenzeichen 3 K 3502/13 entschieden, dass eine berufliche Veranlassung durch eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen vorliegt, wenn der Steuerpflichtige durch den Umzug nicht mehr auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen ist und er die Arbeitsstätte in weniger als 5 Minuten zu Fuß erreicht, mitgeführte Arbeitsmittel bequemer transportieren und für den Arbeitgeber flexibler in die Arbeitsabläufe einbezogen werden kann.

Demgegenüber hat das Finanzgericht Baden-Württemberg in einer Entscheidung vom 29.7.2014 unter dem Aktenzeichen 6 K 767/14 bei einer Gesamtbetrachtung keine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen erkannt, wenn sich durch einen Umzug zwar die Möglichkeit bietet, einen Teil der Arbeit im häuslichen Arbeitszimmer zu erledigen, sich zugleich aber der Arbeitsweg erheblich verlängert.

Auch mit Urteil vom 16.10.1992 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VI R 132/88 entschieden, dass eine berufliche Veranlassung nicht anzunehmen ist, wenn sich durch den Wohnungswechsel die Fahrtzeiten zwischen Wohnung und Beschäftigungsort um weniger als eine Stunde pro Arbeitstag verkürzen und die neue Wohnung Platz für die Einrichtung eines häuslichen Arbeitszimmers bietet. Auch der hinzutretende Umstand, dass die neue Wohnung aufgrund der wesentlich großzügigeren Platzverhältnisse die Einrichtung eines Arbeitszimmers ermöglicht, reicht für die Feststellung eines Umzugs aus nahezu ausschließlich beruflichen Gründen nicht aus. Denn aufgrund des natürlichen Bestrebens nach Verbesserung der Wohnqualität lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit ermitteln, ob die Einrichtung des Arbeitszimmers Anlass oder nur Folge des Umzugs in eine wesentlich größere Wohnung mit besseren Wohnbedingungen gewesen ist. Das Gebot der Rechtssicherheit erfordert, bei der Frage nach der beruflichen Veranlassung des Umzugs regelmäßig nur auf objektiv feststellbare Umstände abzustellen, die typischerweise auf eine berufliche Veranlassung schließen lassen. Solche Umstände sind allein in dem Bestreben, ein abgeschlossenes Arbeitszimmer einzurichten nicht gegeben, so der Bundesfinanzhof seinerzeit. Zudem ist hier als private Mitveranlassung zu berücksichtigen, dass die Einrichtung eines abgeschlossenen Arbeitszimmers in der neuen Wohnung zur ungestörten Nutzung des ansonsten mit der Arbeitsecke belasteten Wohnraums führt.

Wenn aber die berufliche Veranlassung des Umzugs nach objektiven Kriterien eindeutig feststeht, ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auf Motive des Steuerpflichtigen für den Umzug in eine bestimmte Wohnung nicht mehr abzustellen. Ausgehend hiervon hat das Finanzgericht Hamburg in einer aktuellen Entscheidung vom 23.2.2023 unter dem Aktenzeichen 5 K 190/22 die Umzugskosten zum Werbungskostenabzug zugelassen, weil das Gericht den Umzug als objektiv beruflich veranlasst und subjektiv als zur Förderung des Berufes erkannte.

Tatsächlich ist den Steuerpflichtigen eine erhebliche Verkürzung des Arbeitsweges nicht gelungen. Indes ist der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt, dass der Umzug zu einer wesentlichen Verbesserung und Erleichterung der Arbeitsbedingungen der Kläger geführt hat. Der Umzug ermöglichte erst eine ungestörte Ausübung der nichtselbstständigen Tätigkeit beider Eheleute in jeweils separaten Arbeitszimmern, welche vorher nicht gegeben waren.

Kurz zum Sachverhalt: Vor Beginn der Coronapandemie übten die Kläger ihre Tätigkeit jeweils in den Räumlichkeiten ihrer Arbeitgeber aus. Seit Beginn der Coronapandemie verlagerten die Kläger (den Anweisungen ihrer Arbeitgeber folgend) ihre Tätigkeit und übten diese nun zu Hause aus. Dies ging aber nur mit erheblichen Beeinträchtigungen durch ein Abwechseln mit der Tätigkeit im Arbeitszimmer oder der Inkaufnahme von Störungen bei gleichzeitiger Tätigkeit der Eheleute im Arbeitszimmer einher.

Die Kläger haben zur Beseitigung dieser Situation eine neue Wohnung mit genau zwei zusätzlichen Arbeitszimmern gesucht und ausgewählt. Die Einrichtung von zwei Arbeitszimmern war angesichts der verschiedenen Arbeitsweisen der Eheleute erforderlich für die ungestörte Ausübung der jeweiligen Tätigkeit. Durch die räumlich getrennten Arbeitsmöglichkeiten konnten beide weiterhin zur Zufriedenheit ihrer Arbeitgeber ihren Tätigkeiten nachgehen und mussten sich nicht einem Risiko von schlechteren Arbeitsergebnissen mit möglichen negativen Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis aussetzen.

Zudem weicht die Wohnung nicht derart von der bisherigen Wohnung ab, dass hier überhaupt der Anlass zur Annahme bestünde, eine Erhöhung des Wohnkomforts sei Anlass für den Umzug gewesen. Im Übrigen ging mit einer möglichen Erhöhung des Wohnkomforts durch Platzgewinn zugleich eine Verschlechterung des Wohnkomforts einher, denn statt einer Terrasse mit Zugang zum Gemeinschaftsgarten haben die Kläger nunmehr lediglich einen Balkon mit einer für die im Streitjahr fünf Jahre alte Tochter schlechteren Nutzbarkeit.

Bei Würdigung all dieser Umstände kam das erstinstanzliche Finanzgericht Hamburg zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall die Umzugskosten sehr wohl beruflich veranlasst gewesen sind, da der Umzug zu einer wesentlichen Erleichterung der Arbeitsbedingungen geführt hat. Ganz konkret erkannten die Richter die Erleichterung darin, dass in der neuen Wohnung jedem Ehegatten nun ein eigenes Home-Office zur Verfügung stand, in welchem jeder seiner jeweiligen Tätigkeit ungestört nachgehen konnte.

Die Finanzverwaltung möchte dennoch in entsprechenden Fällen die Umzugskosten nicht als Werbungskosten abziehen und hat die Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt. Unter dem Aktenzeichen VI R 3/23 muss daher nun der Bundesfinanzhof die berufliche Veranlassung auch ohne eine Verkürzung der Fahrzeit prüfen.