Ein in der Praxis sehr relevantes Wahlrecht verbirgt sich in § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Danach kann die Steuer auf außerordentliche Einkünfte auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen nach einem ermäßigten Steuersatz bemessen werden.
Der Antrag ist grundsätzlich frei widerruflich, was umso bedeutender ist, da der Antrag auch nur einmal im Leben gestellt werden kann. Eine gesetzliche Frist für den Widerruf besteht insoweit nicht. Ob die geänderte Ausübung des Wahlrechts durch erstmaligen Antrag, durch Rücknahme eines Antrags oder durch abweichende Ausübung eines Antrags ihrerseits eine Änderung des Einkommensteuerbescheids rechtfertigt, ist jedoch eine hiervon getrennt zu treffende Frage, die auch nach Verfahrensrecht beantwortet werden muss. So kann insbesondere die Regelung des § 351 Abs. 1 AO und § 177 AO einer Änderung des Einkommensteuerbescheides entgegenstehen.
Die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs lässt zwar die Ausübung und Änderung von Antrags- oder Wahlrechten, die dem Grunde nach keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen, grundsätzlich so lange zu, wie der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist. So hat bereits der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 27.10.2015 unter dem Aktenzeichen X R 44/13 klargestellt: Einkommensteuerrechtliche Antrags- oder Wahlrechte können auch nach Eintritt der Bestandskraft eines vorangegangenen Bescheides jedenfalls dann erstmalig ausgeübt oder geändert werden, wenn das Finanzamt einen steuererhöhenden Änderungsbescheid erlassen hat, mit dem ein weiterer steuererheblicher Sachverhalt erfasst worden ist, aufgrund dessen überhaupt erst die wirtschaftliche Notwendigkeit entstanden ist, sich mit der erstmaligen bzw. geänderten Ausübung eines Antrags- oder Wahlrechts zu befassen.
Im vorgenannten Urteil äußern sich die Richter jedoch auch schon dazu, dass die nachträgliche Antrags- oder Wahlrechtsausübung in zeitlicher Hinsicht durch die formelle Bestandskraft des Änderungsbescheides und in betragsmäßiger Hinsicht durch den Änderungsrahmen des § 351 Abs. 1 AO begrenzt wird.
Die Änderung eines Antrags- oder Wahlrechts ist auch dann zuzulassen, wenn und soweit der Bescheid lediglich partiell noch nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Damit werden grundsätzlich auch diejenigen Fälle erfasst, in denen Änderungsbescheide auf der Grundlage einer selbstständigen Änderungsvorschrift die teilweise Durchbrechung der Bestandskraft bewirken.
Wird ein solcher Änderungsbescheid angefochten, so folgt jedoch aus § 351 Absatz 1 AO, dass die Änderung der Antrags- oder Wahlrechtsausübung nur dann möglich ist, wenn die dadurch zu erzielende Steueränderung den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen nicht verlässt.
Ausweislich der Regelung in § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung oder Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt. Die Vorschrift begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch bewirkte Veränderbarkeit eines Änderungsbescheids auf den Umfang der Änderung und stellt damit unter anderem klar, dass es im Übrigen bei der zuvor eingetretenen Bestandskraft bleibt. Für Änderungen, die über diesen Rahmen hinausgehen und demnach im Wege eines Verpflichtungsbegehrens zu verfolgen wären, bedarf es folglich einer eigenen Änderungsvorschrift. Die Änderung eines Antrags- oder Wahlrechts stellt für sich genommen keine Änderungsvorschrift dar.
Dieselben Erwägungen gelten im Rahmen der Regelung des § 177 AO. Zwar kann die zulässige Ausübung eines Wahlrechts oder die zulässige Änderung eines solchen ein materieller Fehler im Sinne des § 177 Abs. 3 AO auslösen, wie beispielsweise dem Bundesfinanzhof mit Urteil vom 3.3.2011 unter dem Aktenzeichen IV R 85/09 zu entnehmen ist. Insoweit erhält der Steuerpflichtige die mit dem Eintritt der Bestandskraft verlorene Befugnis zurück, auf die Höhe des infrage stehenden Steueranspruchs einzuwirken. Dies gilt aber nur, „soweit die Änderung reicht“. Die Berichtigung muss sich daher im Rahmen der Durchbrechung der Bestandskraft halten. Dieser Berichtigungsrahmen darf weder überschritten noch unterschritten werden, wie der Bundesfinanzhof bereits in seiner Entscheidung vom 14.10.2009 unter dem Aktenzeichen X R 14/08 herausgearbeitet hat. Die Berichtigung darf demnach bei einer Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen die bisherige Steuer nicht unterschreiten und auch nicht zu einer höheren Steuer führen, als sie sich aufgrund der Änderung ergibt. Bei einer Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen darf sie die bisherige Steuer nicht übersteigen und auch nicht zu einer niedrigeren Steuer führen, als die Änderung zur Folge hat.
Auf Basis dieser Grundlagen kommt daher der Bundesfinanzhof in seiner aktuellen Entscheidung vom 20.4.2023 unter dem Aktenzeichen III R 25/22 zu dem Schluss, dass die Änderung des Wahlrechts auf Inanspruchnahme der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG im Fall einer partiellen Durchbrechung der Bestandskraft nur in Betracht kommt, wenn die damit verbundenen steuerlichen Folgen nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO und § 177 AO gesetzten Rahmen hinausgehen. Dies gilt auch dann, wenn die partielle Durchbrechung der Bestandskraft des Folgebescheids durch ein den Veräußerungsgewinn geänderten Grundlagenbescheid ausgelöst wird. Die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 AO durchbricht die Bestandskraft nur insoweit, als ein Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen ist.
Insoweit konnte im vorliegenden Fall der Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG nicht mehr zurückgenommen werden. Im Urteilsfall hatte der Steuerpflichtige zunächst mit Blick auf einen Veräußerungsgewinn aus seiner Beteiligung die ermäßigte Besteuerung beantragt. Aufgrund einer Betriebsprüfung reduzierte sich jedoch der Veräußerungsgewinn, weshalb es auch zu einer Änderung im Folgebescheid kam. Gerade weil der Steuerpflichtige die ermäßigte Besteuerung nur einmal im Leben beanspruchen darf, wollte der Kläger für den zunächst vorgesehenen und nun verminderten Veräußerungsgewinn keine ermäßigte Besteuerung mehr in Anspruch nehmen, sondern sich diese vielmehr für einen späteren (höheren) Veräußerungsgewinn vorbehalten. Dies lehnt nun im Endeffekt der Bundesfinanzhof ab, da eine entsprechende Änderung des Antrags nach § 34 Abs. 3 EStG entsprechend der oben dargestellten Argumentation nicht mehr möglich gewesen ist.
Am Rande stellte der Bundesfinanzhof in der vorgenannten Entscheidung ebenfalls klar, dass die Rücknahme des Antrags nach § 34 Abs. 3 EStG kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO darstellt. Damit grenzte der Bundesfinanzhof lediglich ab, dass auch diese mögliche Änderungsvorschrift in einem entsprechenden Fall nicht einschlägig ist.