Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Man spricht in diesem Zusammenhang von den sogenannten außergewöhnlichen Belastungen.
Zwangsläufig erwachsenen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof dabei davon aus, dass Krankheitskosten ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen.
Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall zu einer Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt sind und vorgenommen werden, also insoweit medizinisch indiziert sind.
Den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall hat der Steuerpflichtige in den abschließend geregelten Katalogfällen der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachtens oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu führen.
Ein solcher qualifizierter Nachweis ist auch bei Krankheitsaufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden erforderlich.
Wissenschaftlich nicht anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entsprechen. Hierunter fallen Behandlungsmethoden, die die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute nicht befürwortet, weil sich die Methoden in der medizinischen Praxis nicht bewährt haben und über ihre generelle Wirksamkeit und/oder Zweckmäßigkeit nennenswert Streit besteht.
Demgegenüber ist von einem Konsens schon dann auszugehen, wenn die vorgesehenen Behandlungen den Handlungsempfehlungen eines institutionalisierten Expertengremiums entsprechen. Dazu zählen etwa die Stellungnahmen des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer und ebenso die von führenden medizinischen Gesellschaften erstellten Leitlinien, welche den Konsens zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen wiedergeben und denen deshalb die Bedeutung wissenschaftlich begründete Handlungsempfehlungen zukommt.
Ob eine Behandlungsmethode als wissenschaftlich nicht anerkannt anzusehen ist, hat das erstinstanzliche Finanzgericht aufgrund der ihm obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles festzustellen. Hierbei kann es sich unter anderem auf allgemein zugängliche Fachgutachten stützen.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die fehlende wissenschaftliche Anerkennung ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Denn das Nachweiserfordernis soll Aufschluss darüber geben, ob eine Behandlungsmethode im Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert ist und die angefallenen Aufwendungen daher zwangsläufig zum Zweck der Heilung oder Linderung einer Krankheit entstanden sind. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze kam vorliegend das erstinstanzliche Finanzgericht in einer revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise zu dem Ergebnis, dass es sich bei der durchgeführten Fettabsaugung jedenfalls seit dem Jahr 2016 und damit auch im hier vorliegenden Streitjahr unabhängig vom Stadium der Erkrankung nicht mehr um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handelt. Mit anderen Worten: Es ist eine anerkannte Behandlungsmethode. Der Urteilsbegründung der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 23.3.2023 unter dem Aktenzeichen VI R 9/20 sind insoweit noch weitere für den Einzelfall maßgebliche Argumente zu entnehmen.
Vorliegend kommen jedoch die obersten Finanzrichter der Republik zu dem Schluss, dass entgegen der Auffassung des Finanzamtes das Fehlen eines vor der Operation erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung der Anerkennung der Kosten als außergewöhnliche Belastung nicht entgegensteht. Die Tatsache, dass vorliegend die Fettabsaugung nicht kosmetischen Zwecken gedient hat, sondern medizinisch indiziert war, wird nach Auffassung des Bundesfinanzhofs bereits durch das privatärztliche Schreiben hinreichend nachgewiesen.