Gemäß der gesetzlichen Regelung in § 227 der Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Zinsansprüche gehören, ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig wäre.
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist dabei eine Ermessensentscheidung nach § 5 AO, die im finanzgerichtlichen Verfahren nur daraufhin überprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer oder eines Zinsanspruchs, wenn Sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber der Wertung des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass ihre Erhebung unbillig erscheint. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn nach dem erklärten mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. So bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 20.9.2012 unter dem Aktenzeichen IV R 29/10. Dies wiederum kann seinen Grund entweder in Gerechtigkeitsgesichtspunkten oder in einem Widerspruch zu dem der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Zweck haben. Allerdings dürfen Billigkeitsmaßnahme nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einen sich lediglich in einem Einzelfall zeigenden, ungewollten Überhang der gesetzlichen Steuertatbestand abhelfen.
Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO ist daher grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderungen Liquiditätsvorteile gehabt hat.
Bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes durch die Finanzbehörde, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und zu einer Steuererstattung führt, sollen aber keine Zinsvorteile abgeschöpft werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind.
Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 23.2.2023 unter dem Aktenzeichen V R 30/20 entschieden, dass ein Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen bei unzutreffender zeitlicher Zuordnung von Umsätzen durchaus gerechtfertigt ist. Unterjährigen Zinsvorteile sind bei der Prüfung eines Liquiditätsvorteils im Rahmen des Billigkeitserlasses von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer gemäß § 233a AO insoweit unbeachtlich. Dem Erlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer steht nicht entgegen, dass es zu mehreren aufeinanderfolgenden jahresübergreifenden Umsatzverlagerungen kommt.
Insoweit schließt sich das oberste Finanzgericht der Republik seiner bisherigen Rechtsprechung an und widerspricht damit der Finanzverwaltung. Denn bereits in einer Entscheidung vom 11.7.1996 hatte der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen V R 18/95 klargestellt, dass es der Regelung des § 233a AO nicht entnommen werden kann, dass bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes durch das Finanzamt, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und zu einer Steuererstattung führt, in Wirklichkeit nicht vorhandene Zinsvorteile abgeschöpft werden sollen.
Insoweit sollten sich betroffene mit Antrag auf einen entsprechenden Billigkeitserlass gegen solche Zinsen wehren.