Eine aktuelle Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 26.7.2023 unter dem Aktenzeichen II R 5/21 befasst sich mit der nachträglichen Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten. In dem Urteil wird erläutert, dass die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist endet, wenn der Vorläufigkeitsvermerk vom Finanzamt aufgehoben wird, unabhängig von der Kenntnis des Finanzamts über die relevanten Tatsachen. Außerdem wird klargestellt, dass Nachlassverbindlichkeiten, die vor der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks entstanden sind, nicht zu einer Änderung der Steuerfestsetzung führen, selbst wenn das Finanzamt erst danach von diesen Verbindlichkeiten erfährt.
Der Streitfall betrifft die Erbschaftsteuerfestsetzung einer Klägerin, deren Vater einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht hatte. Der Erbschaftsteuerbescheid wurde zunächst vorläufig erlassen, da die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs unklar war.
Im Jahr 2014 fragte das Finanzamt die Klägerin nach Änderungen in Bezug auf diesen Anspruch, erhielt jedoch keine Antwort. Daraufhin erklärte das Finanzamt den Erbschaftsteuerbescheid für endgültig.
Im Jahr 2015 informierte die Klägerin das Finanzamt schließlich über die Beendigung von Rechtsstreitigkeiten in Liechtenstein und beantragte eine Korrektur des Bescheids, um die dem Vater zugesprochenen Beträge und Prozesskosten als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen.
Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag jedoch ab, da die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Die Klägerin klagte, und das Finanzgericht stellte fest, dass das Finanzamt nicht verpflichtet war, die Erbschaftsteuerfestsetzung zu ändern, da die Frist zum Zeitpunkt des Änderungsantrags abgelaufen war. Es wurde jedoch entschieden, dass Prozesszinsen und Gerichtskosten, die im Zusammenhang mit den Rechtsstreitigkeiten entstanden waren, als rückwirkendes Ereignis behandelt werden könnten.
Das Finanzamt war damit jedoch nicht einverstanden und legte Revision ein, da es der Ansicht war, dass die Verpflichtung zur Zahlung dieser Kosten kein rückwirkendes Ereignis darstellt. Der Fall beleuchtet die komplexen Regelungen zur Festsetzungsfrist und zur Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten im Erbschaftsteuerrecht.
Um die Entscheidung grundsätzlich zu verstehen, muss man verstehen, was die Ablaufhemmung des § 173 Abs. 8 der Abgabenordnung (AO) im Kontext der Erbschaftsteuer bedeutet. Die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer endet nämlich nicht vor dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Ungewissheit über die Steuerfestsetzung beseitigt wurde und die Finanzbehörde Kenntnis von den relevanten Tatsachen erhalten hat. Dies ist besonders relevant, wenn die Steuerfestsetzung vorläufig erfolgt ist, wie es im Fall der Erbschaftsteuer häufig der Fall ist, wenn noch nicht alle Nachlassverbindlichkeiten oder Ansprüche geklärt sind.
Im Kontext der Erbschaftsteuer bedeutet dies, dass, solange die Finanzbehörde noch nicht über alle notwendigen Informationen verfügt, um eine endgültige Steuerfestsetzung vorzunehmen, die Frist für die Festsetzung der Steuer gehemmt ist. Erst wenn die Ungewissheit beseitigt ist, beginnt die Frist zu laufen, was den Erben mehr Zeit gibt, um alle relevanten Informationen zu sammeln und die Steuererklärung korrekt einzureichen.
Die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks hat somit entscheidende Auswirkungen auf die Steuerfestsetzung. Insbesondere beendet sie die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 8 AO. Das bedeutet, dass die Frist für die Festsetzung der Steuer nicht mehr gehemmt ist und somit ab dem Zeitpunkt der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks zu laufen beginnt.
Wenn der Vorläufigkeitsvermerk aufgehoben wird, ist die Finanzbehörde verpflichtet, die Steuerfestsetzung endgültig vorzunehmen. Nach der Aufhebung können keine nachträglichen Änderungen mehr vorgenommen werden, die sich auf die vor der Aufhebung entstandenen Nachlassverbindlichkeiten beziehen, selbst wenn diese erst nach der Aufhebung konkretisiert werden. Dies gilt auch dann, wenn das Finanzamt erst nach der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks Kenntnis von diesen Verbindlichkeiten erlangt.
Zusammengefasst führt die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks dazu, dass die Steuerfestsetzung endgültig wird und die Möglichkeit zur nachträglichen Berücksichtigung von Verbindlichkeiten, die vor der Aufhebung entstanden sind, entfällt.
Nachträglich entstandene Nachlassverbindlichkeiten, die nach der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks konkretisiert werden, führen also leider nicht zu einer Änderung der Steuerfestsetzung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das bedeutet, dass diese Verbindlichkeiten, auch wenn sie nach der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks beziffert und konkretisiert werden, nicht mehr in die bereits festgesetzte Erbschaftsteuer einfließen können und im Ergebnis die Erbschaftsteuer zu hoch festgesetzt wird.
Tatsächlich ist somit die Finanzbehörde nicht verpflichtet, die Steuerfestsetzung zu ändern, wenn die Verbindlichkeiten erst nach der endgültigen Festsetzung der Steuer konkretisiert werden. Dies gilt selbst dann, wenn das Finanzamt erst nach der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks Kenntnis von diesen Nachlassverbindlichkeiten erlangt. Die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks markiert den Zeitpunkt, ab dem die Steuerfestsetzung endgültig ist und keine rückwirkenden Änderungen mehr zulässig sind.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass nachträglich konkretisierte Nachlassverbindlichkeiten, die nach der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks entstehen, nicht mehr berücksichtigt werden können, was die steuerliche Belastung der Erben erheblich beeinflussen und zu einem deutlichen Mehr an Steuerbelastung führen kann.
Konkret lauten die Leitsätze des Bundesfinanzhofs in der oben bereits zitierten Entscheidung:
1. Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 8 AO wird auch dann beendet, wenn der Vorläufigkeitsvermerk vom Finanzamt aufgehoben wird. Auf den Wegfall der Ungewissheit und die Kenntnis des Finanzamtes von den Tatsachen, wegen derer die Steuerfestsetzung vorläufig erging, kommt es dann für die Beendigung der Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nicht mehr an.
2. Vor der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks dem Grunde nach entstandene Nachlassverbindlichkeiten, die erst danach beziffert und konkretisiert werden, führen nicht zu einer Änderung der Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO. Dies gilt selbst dann, wenn das Finanzamt erst nach der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks Kenntnis von den Nachlassverbindlichkeiten erlangt.
In der Praxis ist daher peinlich genau darauf zu achten, dass hier kein Fehler passiert.