Die Regelung des § 6 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) spielt eine wichtige gestalterische Rolle bei der Überführung und Übertragung von Wirtschaftsgütern innerhalb des Betriebsvermögens von Steuerpflichtigen. Grundsätzlich ermöglicht diese Norm unter bestimmten Voraussetzungen eine steuerneutrale Buchwertfortführung, wenn Wirtschaftsgüter zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen überführt werden. Dies bedeutet, dass stille Reserven – also die Differenz zwischen dem Buchwert und dem tatsächlichen Marktwert eines Wirtschaftsguts – bei der Übertragung nicht aufgedeckt und somit nicht versteuert werden müssen. Im Endeffekt soll die gesetzliche Regelung verhindern, dass Umstrukturierungen innerhalb eines Unternehmens zu einer unnötigen Steuerbelastung führen, die nicht durch eine tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gedeckt ist.
Insbesondere § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG regelt die steuerliche Behandlung von Übertragungen von Wirtschaftsgütern, die mit einem Wechsel des Rechtsträgers verbunden sind. Satz 3 der Vorschrift sieht vor, dass eine Buchwertfortführung nur in bestimmten, klar definierten Fällen möglich ist, beispielsweise bei Übertragungen zwischen dem Betriebsvermögen eines Mitunternehmers und dem Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft oder zwischen verschiedenen Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers.
Eine Übertragung zwischen den Gesamthandsvermögen von beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften wird jedoch in der aktuellen Fassung des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG nicht ausdrücklich zugelassen. Dies führt dazu, dass solche Übertragungen steuerlich als Veräußerungen behandelt werden müssen, was zur Aufdeckung und Besteuerung stiller Reserven führt.
Ob dieses Ergebnis tatsächlich richtig sein kann, durfte schon in der Vergangenheit bezweifelt werden, weshalb das Bundesverfassungsgericht die Norm einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterwerfen hatte. Mit Urteil vom 28.11.2023 haben die obersten Verfassungshüter nun unter dem Aktenzeichen 2 BvL 8/13 dazu Stellung genommen.
Der konkrete Fall, der dem Bundesverfassungsgericht vorlag, betrifft die F1-KG, eine GmbH & Co. KG, die zwei Grundstücke aus ihrem Gesamthandsvermögen an die F2-KG, eine beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft, übertrug. Dabei setzte die F1-KG die Buchwerte der Grundstücke fort und behandelte die Übertragung als steuerneutral. Das zuständige Finanzamt sah dies jedoch entsprechend dem wortwörtlichen Gesetzestext anders und stellte fest, dass durch die Übertragung die stillen Reserven der Grundstücke aufgedeckt und entsprechend besteuert werden müssten, da § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG eine Buchwertübertragung in diesem Fall nicht (ausdrücklich) vorsehe.
Die F1-KG, welche die Buchwertaufdeckung zu versteuern hatte, legte Einspruch ein und klagte anschließend vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg. Dieses gab der Klage statt und entschied bereits am 19.7.2012 unter dem Aktenzeichen 13 K 1988/09, dass die Übertragung der Grundstücke in das Gesamthandsvermögen der F2-KG nicht zur Aufdeckung stiller Reserven führte. Das erstinstanzliche Finanzgericht stützte sich dabei auf einen früheren Beschluss des IV. Senats des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 2010, der entschied, dass eine solche Übertragung aufgrund der Beteiligungsidentität der beiden Gesellschaften steuerneutral bleiben müsse. Der IV. Senat argumentierte bereits seinerzeit, dass bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen Schwesterpersonengesellschaften, an denen dieselben Personen im gleichen Verhältnis beteiligt sind, keine tatsächliche Verschiebung stiller Reserven auf andere Steuerpflichtige erfolgt. Daher sei es schlicht sachgerecht, die Übertragung ohne Aufdeckung der stillen Reserven und dem folgend ohne Steuerbelastung durchzuführen.
Das Finanzamt legte gegen die erstinstanzliche Entscheidung jedoch die Revision beim Bundesfinanzhof in München ein, und der Fall wurde dem I. Senat des Bundesfinanzhofs vorgelegt. Dieser hatte bereits im Jahr 2009 entschieden, dass § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG eine Buchwertübertragung in der vorliegenden Konstellation nicht zulasse. Der I. Senat stellte klar, dass der Gesetzgeber die Personengesellschaft als eigenständiges Steuersubjekt betrachte und eine Übertragung zwischen solchen Gesellschaften als steuerpflichtigen Vorgang einstufe. Der Bundesfinanzhof sah die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG als abschließend an und entschied, dass eine Ausweitung auf die hier strittige Konstellation nur durch eine gesetzliche Änderung, nicht aber durch richterliche Auslegung möglich ist. Weil der Gesetzgeber bewusst die Möglichkeit einer Buchwertübertragung zwischen Schwesterpersonengesellschaften ausgeschlossen habe, könne diese Regelung nicht als planwidrige Lücke verstanden werden, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte.
Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen legte der Bundesfinanzhof den Fall jedoch mit Beschluss vom 10.4.2013 unter dem Aktenzeichen I R 80/12 dem Bundesverfassungsgericht vor, um zu klären, ob der Ausschluss der Buchwertübertragung in § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstößt.
Nur zehn Jahre später ist eine Entscheidung da. Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 28.11.2023, dass der Ausschluss der Buchwertübertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG mit Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Die obersten Verfassungshüter führen insoweit aus, dass der allgemeine Gleichheitssatz erfordert, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Der Gesetzgeber habe in § 6 Abs. 5 EStG eine Regelung geschaffen, die in bestimmten Fällen eine Buchwertfortführung erlaube, beispielsweise bei der Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen. Diese Regelung soll verhindern, dass bei solchen Übertragungen stille Reserven aufgedeckt und besteuert werden müssen, obwohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen dadurch nicht erhöht wird.
Die Rotroben des Verfassungsgerichts stellten weiterhin klar, dass die Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen Schwesterpersonengesellschaften, an denen dieselben Personen in identischen Anteilen beteiligt sind, wirtschaftlich und steuerlich im Wesentlichen mit den in § 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 EStG geregelten Fällen vergleichbar ist. In beiden Fällen bleibt die wirtschaftliche Einheit gewahrt, und es findet keine Verschiebung stiller Reserven auf andere Steuerpflichtige statt. Eine Differenzierung zwischen diesen Fällen ist daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Der Ausschluss der Buchwertübertragung führe zu einer Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit identisch ist, was gegen das Gebot der folgerichtigen Belastungsgleichheit verstößt.
In der Folge dieser Feststellung verpflichtete das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber, eine rückwirkende Neuregelung zu schaffen, die eine gleichmäßige Besteuerung sicherstellt und die Möglichkeit der Buchwertübertragung auch für Übertragungen zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften ermöglicht. Diese zu begrüßende Entscheidung, auf die viel zu lange gewartet werden musste, hat weitreichende Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung von Umstrukturierungen. Insoweit bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber konkret reagiert, worüber wir bestimmt berichten werden.