Die Frage, ob die Übertragung von Gesellschaftsanteilen auf Mitarbeiter steuerlich als Arbeitslohn anzusehen ist, sorgt seit vielen Jahren für Diskussionen. Denn für die Besteuerung ist entscheidend, ob ein Vorteil als Gegenleistung für die Arbeitsleistung gewährt wird oder ob er auf anderen Gründen beruht.
Gerade bei der Unternehmensnachfolge ist dies ein sensibles Thema: Viele Unternehmer möchten die künftige Leitung ihres Unternehmens sichern, indem sie langjährige und bewährte Mitarbeiter am Unternehmen beteiligen. Das wirft die Frage auf, ob diese Übertragungen ein Teil des Arbeitslohns oder eine Maßnahme zur Sicherung der Unternehmensfortführung sind.
Im vorliegenden Fall war die Klägerin seit vielen Jahren bei einer GmbH im Bereich Vertrieb und Personal beschäftigt. Die Gesellschaft war von zwei Gesellschaftern gegründet worden, die jeweils ungefähr die Hälfte des Stammkapitals hielten. Als einer der beiden Gesellschafter das 65. Lebensjahr vollendet hatte, stellte sich die Frage der Nachfolgeregelung.
In der Gesellschafterversammlung im Jahr 2013 wurde beschlossen, dass sowohl der Sohn der Gesellschafter als auch mehrere leitende Mitarbeiter Geschäftsanteile erhalten sollten. Ziel war es, den Fortbestand und die Weiterentwicklung des Unternehmens sicherzustellen. Dabei war ausdrücklich festgehalten, dass allein der Sohn die Leitung nicht übernehmen konnte, da ihm die notwendige unternehmerische Erfahrung fehlte. Deshalb sollten auch die in der Geschäftsleitung tätigen Mitarbeiter mit Anteilen ausgestattet werden, um sie stärker in die Verantwortung einzubinden.
Im notariellen Übertragungsvertrag wurden schließlich die Anteile übertragen. Die Klägerin erhielt ebenso wie drei weitere leitende Mitarbeiter einen Anteil von jeweils 650 Euro am Stammkapital. Der Sohn der Gesellschafter bekam den Großteil der Anteile, allerdings unter Nießbrauchsvorbehalt. Besonders wichtig ist, dass die Übertragungen nicht an Bedingungen geknüpft waren. Es war weder ein Fortbestand des Arbeitsverhältnisses Voraussetzung noch gab es eine Verpflichtung zur weiteren Mitarbeit. Lediglich für den Fall, dass die steuerlichen Begünstigungen nach den §§ 13a, 13b und 19a des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) nicht anerkannt würden, enthielt der Vertrag eine Rückfallklausel. Schon dies deutete darauf hin, dass die Übertragung nicht als Vergütung für Arbeit gedacht war, sondern als Teil einer Nachfolgeregelung.
Das zuständige Finanzamt bewertete den Vorgang nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung jedoch anders. Es sah in der unentgeltlichen Übertragung der Geschäftsanteile einen geldwerten Vorteil, der als Arbeitslohn im Sinne des § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Einkommensteuergesetz (EStG) zu erfassen sei. Der Wert der Anteile sei daher als Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit zu versteuern. Der Einspruch der Klägerin gegen diesen Steuerbescheid blieb erfolglos. Erst das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt entschied am 27.4.2022 unter dem Aktenzeichen 3 K 161/21, dass kein Arbeitslohn vorliege. Das Gericht stellte fest, dass es sich bei der Übertragung der Anteile nicht um eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung der Klägerin handelte, sondern um einen Vorgang, der von der Sicherung der Unternehmensnachfolge geprägt war.
Das Finanzamt akzeptierte diese Entscheidung nicht und legte Revision beim obersten Finanzgericht ein. Es argumentierte, dass nach der bisherigen Rechtsprechung auch Zuwendungen von Dritten als Arbeitslohn zu behandeln seien, wenn sie im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stünden. Das oberste Finanzgericht befasste sich am 20.11.2024 unter dem Aktenzeichen VI R 21/22 erneut mit dem Fall und bestätigte erfreulicherweise die Sichtweise des Finanzgerichts. Die Richter stellten klar, dass zwar der verbilligte Erwerb von Gesellschaftsanteilen grundsätzlich steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen kann, wenn dieser »für« die Arbeitsleistung gewährt wird. Im vorliegenden Fall sei das entscheidende Motiv für die Anteilsübertragung aber nicht die Vergütung der Arbeitsleistung gewesen, sondern die Sicherung der Unternehmensnachfolge. Dies zeige sich bereits im Protokoll der Gesellschafterversammlung, in dem die Nachfolgeregelung als Grund genannt wurde. Außerdem spreche die Rückfallklausel im Vertrag, die ausdrücklich auf die Begünstigungen des Erbschaftsteuerrechts Bezug nahm, für dieses Motiv.
Die Richter wiesen darauf hin, dass die Einbindung der erfahrenen Mitarbeiter in den Gesellschafterkreis ein typisches Mittel sei, um die Unternehmensnachfolge zu sichern. Die Übertragung sei daher aus gesellschaftsrechtlichen und unternehmensstrategischen Gründen erfolgt, nicht als zusätzliche Entlohnung. Dies zeigte sich auch daran, dass die Anteile unabhängig von Gehalt und Beschäftigungsdauer gleichmäßig auf die leitenden Angestellten verteilt wurden. Zudem wäre der angenommene Vorteil im Verhältnis zum bisherigen Arbeitslohn so hoch gewesen, dass er nicht als Entgelt für die bisherige Tätigkeit erklärbar war. Auch die Tatsache, dass die Übertragung nicht an den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gebunden war, sprach gegen die Annahme von Arbeitslohn.
Damit stellten die obersten Finanzrichter klar, dass die Übertragung von Gesellschaftsanteilen im Rahmen einer Nachfolgeregelung nicht automatisch zu steuerpflichtigem Arbeitslohn führt. Entscheidend ist, ob die Zuwendung tatsächlich eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung ist oder ob sie aus anderen Motiven erfolgt.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Unternehmer bei der Übertragung von Gesellschaftsanteilen im Rahmen der Nachfolge zwar sorgfältig dokumentieren müssen, aus welchen Gründen die Übertragung erfolgt. Wenn erkennbar ist, dass es allein um die Unternehmensfortführung geht, liegt kein steuerpflichtiger Arbeitslohn vor.

