5. Für Beteiligte einer vorweggenommenen Erbfolge: Zur Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes bei der Ermittlung des Kapitalwerts eines Nießbrauchsrechts

Unter dem Aktenzeichen II R 8/22 muss der Bundesfinanzhof die Rechtsfrage klären, ob der zur Berechnung des Kapitalwerts eines Nießbrauchsrechts auf den Jahreswert einzusetzende Vervielfältiger vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 8.7.2021 (Aktenzeichen 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) zur Vollverzinsung unter Zugrundelegung eines Zinssatzes von 1,8 % anstelle der gesetzlich vorgesehenen 5,5 % zu ermitteln ist.
Hintergrund ist hier die Frage, ob der Kapitalwert des Nießbrauchsrechtes, welcher insbesondere bei der vorweggenommenen Erbfolge von Immobilien steuermindernd angesetzt werden kann, tatsächlich höher (und damit steuermindernder) ausfallen muss.
Zum Hintergrund: Mit den oben genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes hat dieses grundsätzlich die Vollverzinsung nach § 233a der Abgabenordnung (AO) als verfassungsgemäß bestätigt. Allerdings hat diese Entscheidung ein großes „Aber!“. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber nämlich sehr wohl darauf hingewiesen, dass er den bisherigen Zinssatz von 0,5 % je vollem Zinsmonat durchaus seit dem Veranlagungsjahr 2014 hätte anpassen müssen. Wohl gemerkt: Hätte! Der Zinssatz darf nämlich entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes noch für Veranlagungszeiträume bis Ende 2018 weiterhin angewendet werden. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht eine Fortgeltungsanordnung geschaffen. Ab den Veranlagungsjahr 2019 ist die Höhe des Zinses von 0,5 % je vollem Zinsmonat jedoch nicht mehr mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen. Dies hat zur Folge, dass die Verzinsung nach dieser Regelung nicht mehr durchgeführt werden darf.
Der Gesetzgeber war somit gezwungen, eine (rückwirkende) verfassungsgemäße Neuregelung des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen zu schaffen. Dies hat er mittlerweile getan.
Danach wird der Zinssatz für Zinsen nach § 233a AO zumindest fortan für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 rückwirkend auf 0,15 % pro Monat, also insgesamt 1,8 % pro Jahr, gesenkt. Der Gesetzgeber sieht damit die verfassungsrechtlichen Vorgaben als erfüllt an.
Vor diesem Hintergrund hat das Finanzgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 23.2.2022 (Aktenzeichen 4 K 129/19 Erb) entschieden, dass der bei der Ermittlung des Vervielfältigers zur Berechnung des Kapitalwerts eines Nießbrauchsrechts anzuwendende Zinssatz von 5,5 % zumindest im Jahr 2016 den gleichheitsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes in Art. 3 Abs. 1 GG genügt. Eine etwaige Verfassungswidrigkeit dieses Zinssatzes könne sich im Übrigen nach der insoweit übertragenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allenfalls auf Besteuerungszeitpunkt nach dem 31.12.2018 beziehen.

Beteiligte an einer vorweggenommenen Erbfolge unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechtes sollten daher prüfen, ob man sich an das anhängige Verfahren anhängt um so zu erreichen, dass die Abzugsposition des Kapitalwerts für das Nießbrauchsrecht eventuell erhöht wird und es somit zu einer (weiteren) Einsparung von Schenkungsteuer kommen kann.