Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Verbindung mit der Norm in § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) sind als Ausdruck eines handelsrechtlichen Grundsatzes ordnungsgemäßer Buchführung für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Ein Bilanzausweis ist unter anderem aber dann sehr wohl geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistung oder Erfüllungsrückstand eines Vertragspartners gestört ist. Dies hat bereits der Große Senat des Bundesfinanzhofs am 23. 6. 1997 unter dem Aktenzeichen GrS 2/93 herausgearbeitet.
Insbesondere ein Erfüllungsrückstand liegt dabei vor, wenn der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im Rückstand befindet, also weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte. Der Bundesfinanzhof knüpft den Begriff des Erfüllungsrückstands herkömmlicherweise eng an den schuldrechtlich gebotenen Zeitpunkt der Erfüllung. Darüber hinaus hatte er aber auch eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung genügen lassen, allerdings vorausgesetzt, mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung wird nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten. So zu entnehmen der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 28.7.2004 unter dem Aktenzeichen XI R 63/03.
Wann eine vertragliche Verpflichtung erfüllt ist, bestimmt sich seither auch bei Dauerschuldverhältnissen nicht mehr entscheidend nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, sondern nach dem wirtschaftlichen Gehalt der geschuldeten Leistung. Erfüllungsrückstand setzte nicht die Fälligkeit der vertraglich geschuldeten Leistung zum Bilanzstichtag voraus, wie der BFH in seinem Urteil vom 5.2.1987 unter dem Aktenzeichen IV R 81/84 herausgearbeitet hat.
Um eine Rückstellung gewinnmindernd berücksichtigen zu können, muss im Einzelnen danach zunächst eine ungewisse Verbindlichkeit vorliegen, also eine Verbindlichkeit, die dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewiss ist. Dies ist der Fall, wenn eine Verbindlichkeit dem Grunde nach besteht oder mit Wahrscheinlichkeit entstehen wird und hinsichtlich der Höhe dieser Verbindlichkeit Ungewissheit besteht. Die Inanspruchnahme aus der Verbindlichkeit muss dabei jedoch wahrscheinlich sein. So auch der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 1.8.1984 unter dem Aktenzeichen I R 88/80.
Auf Basis dieser Grundsätze kommt das erstinstanzliche Finanzgericht Köln in seiner Entscheidung vom 10.11.2021 unter dem Aktenzeichen 12 K 2486/20 zu dem Schluss, dass die Verpflichtung eines Arbeitgebers in einem Manteltarifvertrag, dem Arbeitnehmer am Ende des laufenden Arbeitsverhältnisses und vor dem Eintritt in die gesetzliche Altersrente Freizeittage zu gewähren, eine Gegenleistung des Arbeitgebers für eine bereits in zurückliegenden Jahren erbrachte Leistung des Arbeitnehmers darstellt.
Obwohl das erstinstanzliche Gericht zum Schluss in der Urteilsbegründung ausdrücklich erwähnt, dass Gründe, die die Zulassung einer Revision rechtfertigen würden, nicht vorliegen, ist mittlerweile die Revision beim Bundesfinanzhof anhängig. Das erstinstanzliche Gericht vertrat noch ausdrücklich die Auffassung, dass es weder erkennbar ist, dass hier ein Fall grundsätzliche Bedeutung vorliegt, noch dass eine Divergenz zu anderer Rechtsprechung gegeben ist. Insoweit war das erstinstanzliche Gericht der Meinung, lediglich gefestigte Rechtsgrundsätze auf einen Einzelfall angewendet zu haben.
Offensichtlich ist das Finanzamt hier jedoch anderer Meinung, denn mittlerweile ist die Streitfrage beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen IV R 22/22 anhängig.
Die grundsätzliche Bedeutung der Streitfrage ist dabei auf viele Sachverhalte übertragbar, weshalb Steuerpflichtige, die sich ebenfalls mit der Problematik der Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten beschäftigen müssen, sich gegebenenfalls an das Musterverfahren beim Bundesfinanzhof anhängen sollten.