8. Für alle Steuerpflichtigen: Reichweite des Datenzugriffsrechts der Finanzverwaltung und E-Mails als Handelsbriefe

Mandantenbrief WBS Gruppe

Mit Urteil vom 23.3.2023 hat das Finanzgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen 2 K 172/19 entschieden, dass die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO, wonach die die Finanzverwaltung Anspruch auf die Vorlage von Daten hat, die mit einem Datenverarbeitungssystem erstellt wurden, nur auf solche Unterlagen zutrifft, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat.

Zu diesen Unterlagen gehören insbesondere:

  • Bücher und Aufzeichnungen, Inventare, Jahresabschlüsse, Lageberichte, die Eröffnungsbilanz sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen,
  • die empfangenen Handels- oder Geschäftsbriefe,
  • Wiedergaben der abgesandten Handels- oder Geschäftsbriefe,
  • Buchungsbelege,
  • Unterlagen nach Artikel 15 Absatz 1 und Artikel 163 des Zollkodex der Union,
  • sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind.

Handelsbriefe entsprechend § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO in Verbindung mit §§ 257 Abs. 2, 343 HGB sind nicht auf eine bestimmte Form beschränkt, sodass auch E-Mails Handelsbriefe sein können. Schriftstücke betreffen ein Handelsgeschäft im Sinne der §§ 343 ff. HGB, wenn sie seine Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung zum Gegenstand haben.

Die im Rahmen eines Vertragsverhältnisses, welches als Handelsgeschäft entsprechend § 343 HGB qualifiziert ist, zu erbringenden Erfüllungsgeschäfte wie die Auskunftserteilung oder Serviceleistungen betreffen die Durchführung dieses Handelsgeschäfts und qualifizieren ebenfalls als Handelsgeschäfte. Sind derartige Erfüllungsgeschäfte in einem Schriftstück verkörpert, unterliegen diese der Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO.

Es besteht jedoch kein Anspruch der Finanzverwaltung auf Vorlage eines elektronischen Gesamtjournals, welches nach den Vorgaben der Finanzverwaltung Informationen zu jeder einzelnen empfangenen bzw. versandten E-Mail des Steuerpflichtigen enthalten soll. Die Aufforderung zur Vorlage eines Gesamtjournals, in dem auch nicht nach § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtige E-Mails aufgelistet bzw. nach den Vorgaben der Finanzverwaltung dargestellt werden sollen, überschreitet die Befugnisse der Finanzverwaltung aus § 147 Abs. 6 AO und ist damit rechtswidrig.

Eine allgemein formulierte Aufforderung zur Vorlage von elektronischen Unterlagen „en bloc“ kann, unter Berücksichtigung des Erstqualifikationsrechts des Steuerpflichtigen, sowohl dem Bestimmtheitsgebot des § 119 AO genügen als auch vom Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung nach § 147 Abs. 6 AO gedeckt bzw. verhältnismäßig sein.

Soweit die zusammengefassten Aussagen der ersten Instanz. Der Bundesfinanzhof wird sich jedoch unter dem Aktenzeichen XI R 15/23 weitergehend noch mit der Rechtsfrage beschäftigen müssen, ob die Anforderung der Vorlage von (elektronisch) empfangenen und abgesandten Handels- und Geschäftspapieren sowie sonstiger Unterlagen inklusive eines Gesamtjournals im Rahmen einer Außenprüfung zulässig ist. Die Sache bleibt also noch spannend.